Der deutschsprachige Gitarrenpop hat immer einen Haken. Die Indierocker arbeiten mit Ironie, Distanz, Rollenrede oder Konzept- kunst. Will man in den vollen Genuss ihrer Platten kommen, muss man die Klaviatur der Referenzen begreifen, auf der sie spielen. Ihr Angebot grenzt das Zielpublikum ein. Es ist voraussetzungsreich. Entscheiden sich ein paar Bands doch für die große Gefühlsgeste, nölen sie ihre Melodien in einer solch schnodderigen Stimmlage ins Rund, als wären sie die Mühe echten Gesanges nicht wert. Sie haben Angst vor dem Kitsch, der den Mainstream-Pop bestimmt. Dieser ist voller glasklarer Hymnen, denen man leider bei jedem Wort und jedem Takt die Berechnung anmerkt.
TON sind anders.
Sie schreiben Melodien, die sich im entscheidenden Augenblick genauso entfalten, wie man es sich erhofft hat. Tobias Röger singt mit einer Gewissheit, die Vertrauen erweckt und einer Geste, die jeden einlädt. Seine Texte sind beste Freunde, denn sie finden Worte, die einem niemals selbst eingefallen wären und die gut tun. Weder biedern sie sich an, noch schließen sie jemanden aus. „Ich seh keine Zukunft ohne deine Gegenwart.“ Wie könnte man die Traurigkeit über das Ende einer Beziehung besser ausdrücken? „Da sind so viele Risse in meinem Fundament, sie fallen kaum auf, denn alles andere brennt.“ Wem, der sich jemals aus irgendeinem Grund hilflos gefühlt hat, lässt so eine Zeile nicht das Wasser in die Augen schießen?
Tobias Röger (Gesang, Gitarre), Tobias Scheffel (Gitarre, Piano), Philipp Kostka (Bass) und Christoph Zipper (Drums) arrangieren Atmosphäre und Melancholie sensibel und dynamisch zugleich. Ihre „Diskussionen mit dem Eisberg“ sind finsterer als das Debüt „Wir haben die Zeit, sie uns zu nehmen“, abwechslungsreicher und vielschichtiger. Das große Thema der Platte ist die Liebe. Der Lebensmut, den sie erwecken und die Wunden, die sie schlagen kann. Das alles ist selbst gemacht, in jeder Hinsicht, im eigenen „Tonstudio“ und auf dem eigenen Label „Tonträger“.
Die erste Single „Und dann kommst du“ samt Video und ihr Nachfolger „Keine Zukunft ohne deine Gegenwart“ hätten das Zeug dazu, als Herzensangelegenheiten viele Menschen zu erobern, doch TON werden es wieder nicht darauf anlegen. Tobias hat mit den Wohlstandskindern 10 Jahre lang den Wahnsinn einer Pop-Punk-Karriere hinter sich gebracht und muss heute mit seiner eigenen Band keine Hits fabrizieren, da er es als Ghostwriter bereits für Cassandra Steen oder Christina Stürmer tut. Jeder Ton für TON sitzt bei ihm genau da, wo er ihn haben will.
„Was ist, wenn das alles echt wär“, heißt es in „Wer rettet heute Nacht die Welt?“, einem Song über das Künstliche und Hektische der Plastikpop-Welt, „für zwei, drei Minuten, bevor alles zerfällt, wer rettet heute Nacht die Welt?“ Die Antwort gibt dieses Album. Es ist die Essenz würdevoller Popmusik. Der Ton gewordene Beweis dafür, dass man sich selbst und den Hörer auch dann mit Wertschätzung behandeln kann, wenn man Melodien schreibt, die Millionen bewegen könnten.
Sie hätten es verdient, die Millionen. Und diese vier Ausnahmemusiker auch. Doch es wird gut sein, egal, wie’s kommt.