Das fünfte Album von Le Peuple de L’Herbe ist lebendiger und leidenschaftlicher als jemals zuvor. Die Band befindet sich auf ihrem absoluten Zenit und reitet als einer der größten Fische im französischen Indieteich auf einer Tsunami-Welle des Erfolges Richtung Zukunft. In Frankreich füllen sie mittlerweile Hallen. Im kommenden Jahr folgt die Live Tour in Deutschland.
Normalerweise halten sich Le Peuple de L’Herbe aus dem allumspannenden Medienwahnsinn weitgehend raus, zumal sich viele Pressevertreter mit dem eigenwilligen Soundbild der Band oft ein wenig schwer tun. Ihre Musik ist eben nur schwer zu kategorisieren, bricht schonungslos mit sämtlichen Regeln der Kunst und führt die Bandmitglieder damit jedes Mal aufs Neue an ihren Ursprung aus Unbedarftheit und Experimentierfreude zurück: Als Grundgerüst bedient man sich zwar häufig klassischer HipHop-Elemente wie Beats, Bass, DJing und Sampletum, doch die Jungs machen auch vor afrikanischen Einflüssen, filmisch anmutender Instrumentalisierung, Rock’n’Roll-Anleihen, Post-Punk und Dub nicht halt.
Präsentiert haben sie ihre Stücke bereits in den unterschiedlichsten Locations in ganz Europa, von den intimsten Underground-Clubs bis hin zu den ganz großen Festivals. Ihre unbändige Do-It-Yourself-Attitüde haben sie von Beginn an ganz selbstverständlich mit stolz geschwellter Brust vor sich hergetragen und schätzen diese Autonomie und Unabhängigkeit nach wie vor sehr. Dieser Umstand ist auch ganz unmissverständlich auf ihrem neuen Album „Tilt“ herauszuhören, das sie in ihrem eigenen Studio, der Supadope Factory, aufgenommen haben.
Le Peuple de L’Herbe ist nach wie vor eine stürmische und explosive Band. Die Probleme, Krisen und Schwierigkeiten sind dabei genauso Thema ihrer Songs wie Referenzen an die Vergangenheit. Musikalisch untermalt wird das Ganze zudem durch beeindruckende Bläsersätze, kraftvolle Breakbeats, tonnenschwere Bassläufe, stählerne Rhythmen und hektisch anmutenden Gitarrenriffs. All das wirkt jedoch penibel ausbalanciert – zwischen einer unnachahmlichen Form von Düsternis und einer wundersamen Leichtigkeit, stets unterfüttert mit Samples voll schwarzem Humor und Sarkasmus.
Außerdem sind Le Peuple de L’Herbe nach wie vor eine fantastische Live-Band, die auch heute noch dieselbe Wut, Kraft und Energie auf die Bühne bringt wie zu ihren Anfangszeiten. Man braucht nur mal einen der tausend Fans von Le Peuple de L’Herbe zu den sagenumwobenen Live-Shows der Band befragen. Die Antworten, bestehend aus überschwänglichen Superlativen, kennen nur eine Richtung. Und die besagt: Le Peuple de L’Herbe sind da, wo oben ist.
Die Fakten:
Angefangen hat alles 1997, als die Band auf den Hügeln des Croix-Rousse-Viertels in Lyon von DJ Pee und DJ Stani gegründet wurde. Kurze Zeit später kamen bereits Schlagzeuger Psychostick und N’zeng an der Trompete dazu, mit denen Pee und Stani nicht nur ihr Debütalbum „Triple Zero“ aufnahmen, sondern auch noch zwei Stücke zum Soundtrack zu Virgine Despentes’ Kultfilm „Baise-Moi“ beisteuerten. 2002, zur Veröffentlichung vom „P.H. Test/Two“-Album, stieß dann der britische Rapper und Beatboxer Jc001 zur Band und gehört seitdem als festes Mitglied zum Lineup von Le Peuple de L’Herbe.
Presse und Publikum zeigten sich von Anfang an gleichermaßen begeistert von deren mitreißender Alchemie. Denn lustige Samples, eine gewagte Instrumentierung, überraschende Einflüsse aus sämtlichen Bereichen, hervorragende Videos und eine starke Bildhaftigkeit waren stets wichtige Säulen im Werken und Wirken der Band.
Deren drittes Album „Cube“ erschien 2004 und markierte einen musikalischen Wendepunkt in der Geschichte der Gruppe – zumal DJ Stani kurz darauf ausstieg und durch den Gitarristen und Bassisten Spagg ersetzt wurde. Von dort an ging die Band zurück zu einem sehr viel organischeren Sound, bei dem der computergesteuerte Einsatz von Instrumenten und Effekten aufs Wesentliche reduziert wurde.
Nachzuhören ist diese Kehrtwende auf „Radio Blood Money“, einem anspruchsvollen Konzeptalbum, dessen Stücke entsprechend kraftvoll und mitreißend auf einer ausgedehnten Zweijahrestournee zum Besten gegeben wurden – nachzuhören auf dem 2008 erschienenen „Live“-Album. Nicht zu vergessen sind die vielen denkwürdigen Kollaborationen mit Leuten wie The Svinkels, den Puppetmastaz oder Beth Gibbons von Portishead. Auch der Aufbau ihres eigenen Supadope-Factory-Studios war ein wichtiger Schritt für die Band, um stets die volle Kontrolle über ihr musikalisches Leben und ihre Karriere behalten zu können.
„Tilt“, das neue Album:
Auf ihrem fünften Studio-Album wird die musikalische Ausrichtung der Band bereits im ersten Stück der Platte namens „Heart And Soul“ zusammengefasst: Ein vertonter Tagtraum, ein instrumentiertes Feuerwerk der Vielfältigkeit und wahnsinniger Post-Soul-Track mit explosivem Bläsereinsatz, harten Rhythmen und gespenstischer Stimme, kurz: der Wahnsinn in Tüten.
Nächstes Highlight ist der Track „Brick By Brick“, auf dem Jc001 all seine Fähigkeiten als MC und Lyricist zum Besten gibt und in diesem düsteren, kraftvollen und brutalen HipHop’n’Roll-Mashup münden lässt. Ein Phänomen von einem Song, der jedem Liebhaber von Power und Poesie die Schuhe auszieht. Im Gegensatz dazu ist „L’Esprit D’une Epoque“ ein drolliger Popsong, der zuerst von einem fluffigen Trompetenspiel zwischen Chorus-Jazz und Mariachi an die Hand genommen wird, bis es sich plötzlich in einen potenziellen Titeltrack für einen fiktiven James-Bond-Film verwandelt. So oder so: Ein perfekt instrumentiertes Stück Musik, wie es nur Le Peuple de L’Herbe zu kreieren imstande ist.
„Look Up“ wiederum wird dominiert von einem verbalen Gefecht zwischen Jc001 und Sir Jean auf einer idealen Fusion aus düsterem Breakbeat und melodischer Perfektion. 3 Minuten und 48 Sekunden, in denen das Stück zu einem absoluten Crossover-Hit mutiert.
Mit „Pretty Bad Drug“ geht es dann wieder back to basics – ein abartiges Drum’n’Bass-Monstrum wird zum Leben erweckt, das einen mit seiner fremdartigen Aura gefangen nimmt und Hals über Kopf und mit Haut und Haaren verspeist, nur um einen dann vollkommen hypnotisiert und zerschreddert wieder auszuspucken und orientierungslos und verwirrt zurückzulassen. Doch zum Glück bietet der die 2009-Version eines Trip-Hop-Stücks namens „Matchbox“ ein wenig Zeit zur Regeneration, denn das Ganze präsentiert sich wunderschön und kantig zugleich.
Die zweite Hälfte des Albums wird eingeläutet von „Supabreakin“, bei dem Jc001 seinen unnachahmlichen Flow einfach laufen lässt bis der Gehörgang vollends unter Wasser steht, während die Band einen auf Oldschool macht und die Retro-Elektro-Klatsche auspackt. Heiß, stickig und schwül wird es dann bei „Swamp“, bei dem unsere Hirne hilflos im Morast der Soundlandschaften von Le Peuple de L’Herbe versinken. Das Stück wirkt wie ein basslastiger Alptraum zwischen Mensch, Maschine und Musik, bei dem man nicht weiß, wer von den Dreien am Ende die Oberhand gewinnt.
„Get Stronger“ ist der nächste Killertrack, in dem Sir Jean sich in einem Gitarrenriff nach dem anderen verliert, um am Ende dann doch wieder ganz neue Saiten aufzuziehen. Nach dem ironischen Science-Fiction-Interlude „Green Card“ drängt sich wiederum das beklemmende „Nightmare“ in den Vordergrund und sorgt für massig Anspannung: Dub-Bässe, eine Jazz-Trompete und ein kraftvoller Melodiebogen münden in einem vertonten Kampf um Leben und Tod.
Beim vom Wahnsinn gepeitschten „Back Against The Wall“ haben sich sämtliche Bandmitglieder hörbar Mühe gegeben, die gesamte Gefühlspalette zwischen Hoffnungslosigkeit und Stärke abzudecken und damit einmal mehr ein weiteres Highlight dieser Platte kreiert. Wundervoll zu Ende geht das Album schlussendlich mit „Catch Up“, auf dem die Band noch einmal an ihre alten Elektrowurzeln erinnert. Außerdem sollte man tunlichst auf die Worte achten, mit denen die Platte seine Hörerschaft vorerst in die Stille entlässt – bis man am Ende dann doch wieder zum Anfang kommt und die Repeat-Taste drückt.
Kurz und gut: „Tilt“ ist eine verdammt großartige Platte geworden, die die Geschichte der Band samt ihrer kollektiven Abenteuer auf ganz fantastische Art und Weise musikalisch zusammenfasst. Chris mimt dabei immer noch den bösen Produzenten, der mit den mysteriösesten und abgefahrensten Soundgebilden um die Ecke kommt. Dazu DJ Pee an den Turntables, N’Zeng an der Trompete, Psychostick am Schlagzeug sowie Spagg an Bass und Gitarre. Dieses illustre Instrumentalquintett findet auf vokaler Ebene zudem Unterstützung von Jc001 und Sir Jean, nicht zu vergessen die Leute, die den Alltag der Band organisieren und das Business am Laufen halten. Fehlt nur noch Der Kommissar, der sich für das Artwork des Albums verantwortlich zeichnet – fertig ist nicht nur ein absolutes
Gewinnerteam, sondern auch eine Band, die so stark und schön klingt wie selten zuvor. Die Flamme der Leidenschaft brennt nach wie vor lichterloh – und der musikalische Flächenbrand wird mit „Tilt“ nun folgen.