Ashley Hicklin’s Welt hat etwas Kulissenartiges. Die Bildhaftigkeit seiner Texte, die eindringlichen Melodien, traurigschön, sehnsüchtig, melancholisch und hoffnungsvoll zugleich, die ungezähmte Leidenschaft in seiner Stimme, all das ist Teil einer inneren Welt, die auf seinem Debütalbum „Parrysland” diese ganz besondere Magie entfesselt. Wie sieht es aus in dieser Welt?
Man stelle sich eine kleine Kajüte vor, in der Ecke eine alte, hölzerne Truhe mit den Lieblingsplatten, auf dem Boden ein Labyrinth aus skizzierten Songtexten, musikalische Storyboards, der flackernde Schein einer antiken Laterne, die hin und her schwingt und den Mann am Schreibtisch abwechselnd in Licht und Schatten taucht. Ein geheimer, zeitloser Rückzugsort der Inspiration, versteckt im Hafen einer großen Stadt. Diese märchenhafte Kulisse, fern ab von den Mächten und Gesetzen des Musikmarketings, könnte das kreative Zuhause sein für den sonderbaren Piraten mit der charismatischen Stimme, die man entweder liebt - oder eben nicht. Genau wie seinen eigenwilligen Kleidungsstil, dem er selbst den Namen „Bohemian Vogue” gegeben hat. Spätestens, wenn man Ashley Hicklin live auf der Bühne erlebt, versteht man, dass all das ein Teil dieser verborgenen Welt ist, deren Tür er für uns mit Hilfe seiner Musik öffnet.
Die maritime Metapher ist kein Zufall. Die Kneipe in der Hafenstadt Scarborough an der Nordostküste Englands, besungen von Simon and Garfunkel in dem Song ‘Scarborough Fair’, war die Kneipe seiner Eltern, und hier fanden regelmäßig Open Mic-Abende statt. Für Ashley schon in frühem Teenager-Alter eine großartige Gelegenheit, munter mit Musikern unterschiedlichster Couleur und jeden Alters zu jamen.
Kein Wunder, dass Ashley Hicklin etwas gegen den Strich gebürstet und kantig ist. So kantig, dass er in keine Schublade passt. Wie soll man jemanden auch sauber verpacken, etikettieren und als pflegeleicht wegstecken, der in einer Kneipe in Scarborough groß geworden ist, der als Teenager Klarinette gelernt und in Heavy Metal-Bands gespielt hat? Der dann auch noch klassische Streichersätze arrangiert und namhafte englische Orchester dirigiert hat, dessen Stücke in der Royal Albert Hall aufgeführt worden sind, der als Singer-Songwriter durch die Lande gezogen ist und hinter den Kulissen von Pop Idol die mehr oder minder talentierten Möchtegern-Popstars von morgen auf fernsehtauglichen Vordermann gebracht hat. Die Schablone für so einen Künstler muss man erst noch schneiden - zumal dieser erst 24 Jahre alt ist.
Die Arbeit hinter den Kulissen von Pop Idol - das Vorbild für DSDS, X-Factor, American Idol und all die anderen Jahrmarkt-Shows der unerfüllbaren Sehnsüchte - hat Ashleys Blick geschärft für den Zynismus des Popgeschäfts und für die Beiläufigkeit, mit der Träume und Träumer zerschmettert werden können, für den tiefen Fall, der auf fünf Minuten Scheinwerferlicht folgen kann. Und trotzdem: „Ich bin ein Popsänger”, sagt er ganz ernst. „Ein klassisch ausgebildeter Popsänger mit Kneipen- und Heavy Metal-Vergangenheit.”
Nicht nur ein Sänger allerdings, sondern auch Komponist, Songschreiber, Texter, Arrangeur von komplexen Streichersätzen, Dirigent, Produzent und Entertainer. Also kein glattgeschniegelter, perfekt auf eine Marktnische hin getrimmter Popact, der vor allem durch Eindimensionalität besticht, sondern einer der wenigen echten Popkünstler, einer, der Talent und Musikalität im Übermaß hat, der vor Schaffensfreude übersprudelt und der genau weiß, was er will und wie er es will. So einem macht keiner Vorschriften, kein Produzent und kein Plattenfirmen-Boss.
Aber ist das überhaupt Pop, was Ashley Hicklin uns da in seinen Songs präsentiert? Darüber ließe sich beinahe streiten. Die trügerische Einfachheit und die atmosphärischen Klangwelten von Songs wie „Home” sprengen Genre-Grenzen ebenso spielerisch wie das beinahe jazzige „Memories And Faces”, die eingängige Folk-Pop Single „Eskimos To Astronauts” oder der Song „Whizz Bang Bang”, der durchaus dem Soundtrack zu einem Quentin Tarantino Film entstammen könnte.
„Parrysland”, sein Debütalbum, das er mit Produzent Franz Plasa in dessen Hamburger Studio aufgenommen hat, ist ein Konzeptalbum über turbulente Beziehungen: „Die Beziehungen starten immer märchenhaft und enden dann leider oft im Chaos”, lacht Ashley. Der Titel „Parrysland” stammt von dem Buch ‘Wuthering Heights’ von Emily Brontë, mit deren Geschichten Ashley aufgewachsen ist.
Debütalbum ist im Falle Ashley Hicklin übrigens ein etwas irreleitender Terminus. Denn äußerst erfolgreich debütiert hat der Absolvent des weit über England hinaus bekannten Leeds College of Music schon öfters. Als Dirigent hat er mit bekannten Ensembles und Orchestern wie der London Sinfonietta, dem Goldberg Ensemble und dem Apollo Saxophone Quartet gearbeitet. Und als Songwriter hat er bereits eine Nummer 1 in Schweden auf dem Konto und den belgischen Eurovisions-Beitrag 2010 auf dem Terminkalender.
Vor allem aber lebt Ashley Hicklin für die Bühne. Ob allein mit Gitarre in einem kleinen Club, vor der Kamera auf einem Hamburger Balkon, in einem Plattenladen oder in voller Mannschaftsstärke mit seiner 16-köpfigen Band „The Troubadors”, Streicher inklusive, und vor großem Haus - er ist in jeder Situation sofort daheim. „Auf der Bühne”, sagt er, „lebe ich richtig auf. Ich bin voller Energie, tanze, nehme Kontakt zum Publikum auf, verausgabe mich und genieße jede Sekunde.” Live kommt die enorme Bandbreite des Künstlers Ashley Hicklin, der sich im Spannungsfeld zwischen Klassik und Pop so hervorragend eingerichtet hat, in ihrem ganzen Umfang zum Tragen.
Spätestens seit die BBC eines seiner Konzerte in seiner englischen Heimat mitgeschnitten und ausgestrahlt hat, wird der Name Ashley Hicklin, nicht mehr nur hinter vorgehaltener Hand geflüstert. Ohne diesen Konzertmitschnitt hätte es Ashley übrigens nie an die Alster verschlagen. Gesehen hatte den Mitschnitt nämlich auch Peter Ende, damals noch Chef von EMI Europa, der den jungen Künstler aus dem Nordosten Englands umgehend unter Vertrag nahm und dann nach Hamburg lotste. Ein Schritt, den Ashley selbst nach anderthalb Jahren noch keine Minute bereut hat. „Bevor ich nach Hamburg kam”, sagt er, „habe ich eine Zeit in London gelebt und es nicht sonderlich gemocht. Hamburg dagegen ist phantastisch. Ich liebe die Stadt, die Menschen, das Leben hier.”
Für viele muss es so aussehen, dass Ashley Hicklin seinen Traum lebt - seine eigenes Album in einem großen Studio aufzunehmen und in der Welt herum zu reisen. Ashley selber hätte nie mit einer Karriere im Musikbusiness gerechnet, seine Kreativität entsteht aus innerer Notwendigkeit. „Ich lebe und atme Musik und habe nie daran gedacht irgendetwas anderes in meinem Leben zu tun. Wenn ich jetzt nicht hier wäre, wäre ich schlicht und einfach ein Musiker in den Straßen Londons oder würde mit meiner Gitarre über die sieben Weltmeere segeln”.
Ashley Hicklin live - Tourdates 2010 (als Support von Sunrise Avenue)