3 Words [Pop]
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Psst. Nicht weitersagen. Aber Cheryl Cole ist momentan ganz schön nervös. „Ich habe richtig Bammel, um ehrlich zu sein“, gesteht sie und holt dabei ganz, ganz tief Luft. Als die erste Sängerin von Girls Aloud, der ultimativen britischen Pop-Institution der „Nullerjahre“ also, die ein Soloalbum vorlegt, begibt sie sich, um ein Wort zu gebrauchen, das sie in letzter Zeit häufiger gehört hat, in der Tat ganz schön weit raus aus der „Komfortzone“.
„Die anderen vier Mädels haben mir immerhin knapp 10 Jahre lang den Rücken gestärkt und waren immer da, um das alles abzufedern. Wir alle waren füreinander da, um das abzufedern.“ So war Cheryl auch ausgesprochen mulmig zumute, als sie kürzlich zum ersten Mal das Video zu ihrer Debüt-Single „Fight For This Love“ im Backstage-Bereich über den Bildschirm flackern sah, zudem auch noch direkt vor einem Auftritt im Vorprogramm von Coldplay, den sie gemeinsam mit Girls Aloud absolvierte. (Wobei sie natürlich von Chris Martin höchstpersönlich gefragt worden sind.)
Frauen stehen auf Cheryl Cole. Jede Generation braucht eine Pop-Queen, deren Gefühle man als Frau nachempfinden und mit deren Leben man sich fast schon zwanghaft beschäftigen kann. Was Erfolgsgeschichten in Eigenregie betrifft, kann ihr keiner das Wasser reichen. So steht der Name Cheryl Cole schon längst dafür, dass auch wer ganz, ganz unten anfängt, sich niemals dafür schämen sollte, nach den Sternen greifen zu wollen. Hin und wieder klappt es schließlich doch.
Cheryl ist zu einer Ikone geworden, weil sie stets an ihren Traum geglaubt hat – wovon sie selbst jedoch nichts hören will: „Nun sei endlich still“, antwortet sie in der Regel, wenn man versucht, ihr ein Kompliment zu machen oder ihre Stellung in der kulturellen Landschaft anspricht. Genau genommen hat man es hier mit einer Sängerin zu tun, die niemals vergessen wird, wo sie herkommt. In den achtziger Jahren in einem tristen Wohnblock im Nordosten Englands aufgewachsen, hat sie einen modernen Traum verfolgt und konnte ihn schließlich im Reality-TV in die Tat umsetzen, perfekte Lehrjahre eigentlich, wenn man bedenkt, dass sie letztes Jahr eine entscheidende Rolle im britischen Fernsehen spielen sollte. Nachdem sie dann durch eine Talent-Show – wobei die Betonung ganz klar auf „Talent“ liegt: Immerhin hat sie eine ganze Nation mit ihren Songs begeistert – bekannt geworden und sie diejenige im Girls-Aloud-Team geworden war, an der man sich nicht satt sehen konnte, folgte eine schier unendliche Serie beispielloser Platin-Hits, die alles andere, was sonst so in den letzten Jahren im Pop geschehen ist, locker in den Schatten stellten. Kurzum: Sie hat genügend Erfahrungen gesammelt, um jetzt ihre One-Woman-Show zu starten.
Dazu darf man nicht vergessen, dass ihre geradezu unverbesserliche Bodenständigkeit, ihre Ehrlichkeit, ihr Charme, ihre Bescheidenheit und, wenn wir mal ganz ehrlich sind, nicht zuletzt ihre unfassbare Schönheit auch die Männer nicht ganz kalt gelassen haben. Ganz im Gegenteil: Die britische Musiklandschaft des neuen Jahrtausends hat keine zwei unterschiedlicheren Superstars als Simon Cowell und Chris Martin hervorgebracht, und doch hat Cheryl alle beide in ihren Bann gezogen und wurde von beiden tatkräftig unterstützt.
Sicherlich sollte all das die Nerven doch zumindest ein wenig beruhigen, oder? Nun, nicht ganz. Um die Solo-Offensive endgültig zu starten musste erst derjenige Mann ihr den Rücken stärken, den man derzeit wohl als den erfolgreichsten Pop-Produzenten der Welt bezeichnen muss: Will.i.am von den Black Eyed Peas nämlich. „So fing alles an“, sagt Cheryl über die Anfänge ihrer Solo-Karriere und benutzt dabei Worte, mit denen man auch ein Märchen einleiten würde. „Letztes Jahr haben wir eine TV-Show namens ‘The Passions of Girls Aloud’ gemacht. Wir alle sind dafür losgezogen und haben etwas gemacht, was uns faszinierte – schließlich ging es um unsere Leidenschaften. Ich persönlich wollte schon immer mal Streetdance ausprobieren. Und zum krönenden Abschluss der Show gewann ich dann einen Gastauftritt im Video zu Will.i.ams Single ‘Heartbreaker’.“ Wie nicht anders zu erwarten, war Mr. i.am dermaßen angetan von dem, was Cheryl in so kurzer Zeit gelernt hatte, dass er sie kurzerhand ins Studio einlud, um auch die Hook des Songs für ihn einzusingen.
„Ich fand den Song von Anfang an unglaublich toll“, erinnert sich Cheryl, „und überhaupt hat es zwischen uns beiden sofort Klick gemacht. Als er wieder in England war, sind wir zum Beispiel auch zusammen abends ausgegangen. Wir wurden richtig gute Freunde, und dann sagte er irgendwann, dass er noch mehr Aufnahmen mit mir machen wollte.“ Wenn ein Überproduzent wie Will.i.am so etwas sagt, ist das nicht gerade ein geringes Lob. „Ich hab das zunächst gar nicht geschnallt. Natürlich war es ein großes Kompliment, aber mir war das ehrlich gesagt gar nicht so ganz klar. Ich war viel zu sehr in meiner Arbeit mit den Girls versunken. Die stand nämlich ganz oben auf meiner Prioritätenliste.“
Nachdem Girls Aloud einen BRIT-Award für „The Promise“ eingesammelt hatten (in der Kategorie „Best British Single“) und ihre bislang größte Tournee zu „Out Of Control“ vorbereiteten, ihrem letzten und bis dato erfolgreichsten Album, fassten sie den Entschluss, erstmal ein Jahr Pause einzulegen. „Der letzte Auftritt der Tournee fand am 06. Juni in meiner Heimatstadt Newcastle statt; man kann sich also vorstellen, was für ein emotionaler Moment das für mich war. Meine ganze Familie war dabei.“ Zugleich war es ein schönes Bild: einerseits sah man, wo sie herkam, und zugleich war absolut deutlich, wo ihre Reise noch hingehen sollte. „Nach diesem letzten Abend flogen die anderen Mädels direkt in den Urlaub. Ich hingegen hatte kaum Zeit, mir die Haare machen zu lassen, schließlich musste ich sofort weiter nach Glasgow fliegen, um die nächste Staffel von ‘The X Factor’ zu drehen. Der Drehbeginn war nämlich schon am 07. Juni. Aber so ist mein Leben nun mal und ich finde es toll so. Sorgen mache ich mir erst, wenn alles etwas ruhiger und normaler wird.“
Ihr Auftritt in der Jury von „The X Factor“ mag viele Briten überrascht haben; dabei war niemand so perplex wie Cheryl selbst: „Erst als ich den Raum betrat, wurde mir klar, dass ich dort niemanden kannte, weder von der Besetzung noch von der Crew, bis auf das eine Mädchen, das mir die Haare machte – sie fand ich super – und Louis, aber das ist eine andere Geschichte.“ Doch als sie dann regelmäßig ihren Platz neben den anderen Jury-Mitgliedern einnahm, bemerkte sie, wie sich in ihr etwas veränderte: „Ich wurde einfach immer selbstbewusster. Das Ganze war schon etwas verrückt, und mir hätte das auch sicherlich auf die Nerven gehen können, wenn ich das zugelassen hätte, aber mir persönlich ging es dabei die ganze Zeit nur darum, diese Angst zu überwinden und auch mal eine Sache im Alleingang zu machen. Ich kann nicht mal sagen, wie es kam, dass ich überhaupt die Nerven dazu hatte. Als ich zum ersten Mal in das Studio schlenderte, dachte ich bei mir nur: ‘Was mache ich hier bloß?’“
Doch das dadurch gewonnene Selbstbewusstsein weckte in ihr die Idee für weitere Alleingänge, und so bekamen schon sehr bald andere Leute Wind von diesem neuen Gefühl: Mitarbeiter der Plattenfirma fragten sie beispielsweise, ob sie noch an Will.i.ams Angebot interessiert sei, und so schaufelte sie etwas Zeit in ihrem Terminkalender frei, um mit ihm ins Studio gehen zu können. Dann lagen die Nerven jedoch endgültig blank. „Bei Girls Aloud läuft das generell so, dass wir in die Gesangskabine gehen und unseren Teil zu einem Track beisteuern, der ansonsten so gut wie fertig ist. Bei Will sah ich hingegen, wie ein Song von Grund auf entsteht. Ich war von Anfang an am kreativen Prozess beteiligt: Er fragte mich zum Beispiel, was ich von einem Beat oder einer Textzeile hielt. Oder er schickte mich weg mit der Ansage, ich solle doch alleine ein paar Hooks schreiben, und dann kam ich wieder und schämte mich fast in Grund und Boden. Was mache ich hier bloß? Warum will er gerade mit mir arbeiten? Ich kann doch gar nicht so gut singen wie Fergie. Ich fühlte mich dafür einfach nicht gut genug. Und dann darf man auch nicht vergessen, dass Will kein Typ ist, der ein Blatt vor den Mund nimmt.“
Doch gefielen ihm die Resultate, wie sich schon sehr bald zeigte. Und Cheryl ging’s genauso. „Dieses Mal wusste ich von Anfang an, was ich nicht singen wollte. Wenn ich einen hämmernden Dance-Beat oder eine Zeile hörte, die mir nicht gefiel, dann flog sie raus. Ganz einfach. Wenn schon ein Soloalbum aufnehmen, dann eins, das ich den ganzen Tag bei mir zu Hause hören möchte. Ich stehe voll auf das, was wir mit den Girls machen. Ich mag diese schrägen und schrulligen Aspekte, und ich finde es super, dass genau das unseren Sound auszeichnet. Trotzdem musste diese Platte anders und viel persönlicher klingen.“
So richtig los ging’s mit dem Aufnahmeprozess, nachdem Will und Cheryl ihr krasses Robo-Pop/R&B-Duett „3 Words“ vom Stapel gelassen hatten, das zugleich das Kern- und Titelstück ihres Soloalbums bildet. „Ich kann immer noch nicht ganz glauben, dass dieser Song von mir stammt“, sagt Cheryl, die nach wie vor vollkommen begeistert vom Ergebnis ist – und das zu Recht: minimalistisch und auf den Punkt gebracht, gelingt ihr die Grätsche zwischen den Tanzflächen von Ibiza und Miami, während der Text, den sie auf diesem Fundament verankert, wie eine klassische SMS im Geordie-Slang rüberkommt. Eine Mischung also, die so gut wie gar nicht mehr an Girls Aloud erinnert und stattdessen einfach nur nach Cheryl klingt. Auch das bouncende „Heaven“ (feat. Will.i.am) klingt einfach nur fresh, wobei sie hier R&B- und Dance-Sounds kombiniert und damit einen aktuellen Trend perfekt zu Ende denkt.
„Der Boss meiner Plattenfirma erwähnte immer wieder einen Produzenten namens Syience. Als ich schließlich erfuhr, dass er zuletzt an ‘Sweet Dreams’ von Beyoncé mitgearbeitet hatte, nahm ich gleich das nächste Flugzeug nach Los Angeles.“ Dazu muss man wissen, dass Cheryl der größte weibliche Fan von Beyoncé ist. „Ich kann kaum in Worte fassen, wie sehr ich auf sie stehe. Als sie letztes Jahr bei ‘The X Factor’ in die Show kam, um mit Alexandra zu singen, haben Alex und ich ab neun Uhr morgens nur noch geheult vor Glück – wir konnten es kaum fassen, wie bezaubernd diese Frau eigentlich ist.“ Mit Syience nahm sie schließlich die abgefahrene R&B-Ballade „Parachute“ auf.
„Die Erfahrung im Studio fühlte sich einfach nur befreiend an: am kreativen Prozess beteiligt zu sein, genau das singen zu können, worauf ich Lust hatte. Plötzlich klang der Sound genau wie das, was ich mir zu Hause anhören würde.“ Auch der persönliche Touch im Text von „Fight For This Love“, ein Stück von Andre Merritt, Steve Kipner und Wayne Wilkins, hatte es ihr sofort angetan: „Der Songtext hat mich einfach umgehauen: Er ist durch und durch positiv, und die Aussage lautet, dass man stets durchhalten und weitermachen muss, ganz gleich, welche Hindernisse sich vor einem auftürmen. Kapitulation und vorzeitiges Aufgeben kommen nicht in Frage, das ist die Aussage – und genau so bin ich!“
Cheryl Cole ist alles andere als hochmütig, was ihre Solokarriere betrifft: „Ich sehe das so: Wenn daraus nichts wird, dann hat’s nun mal nicht sein sollen, aber immerhin hatte ich dann eine Hammerzeit während der Arbeit an diesem Projekt. Ich bin wirklich wahnsinnig glücklich über das, was wir da im Studio geleistet haben. Diese Erinnerungen und dieses Gefühl kann mir keiner mehr nehmen – ganz gleich, was passiert. Ich habe ein paar Genies bei der Arbeit zusehen können. Und ich habe mit ihnen gearbeitet!“
Ja, es stimmt, sie hat richtig Bammel. Doch ist dieses Gefühl letztlich genau das, was sie will. „Als wir das letzte Album mit den Girls aufgenommen haben, hatten wir kein bisschen Angst mehr, und genau darum hatten wir schließlich das Gefühl, mal eine Pause einlegen zu müssen. Das alles hier hat uns nun wieder das Fürchten gelehrt, wenn man so will. Und mal ehrlich: Darin liegt doch der eigentliche Kick.“
(Quelle: Universal Music Group, 18.12.2009)
FORMAT: CD
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