Die Geschichte des zweiten FOALS-Albums kann nicht erzählt werden, ohne vom Triumph zu reden, den das Debüt feierte. Mit einer Platzierung auf Position #3 der UK-Charts war Antidotes wahrscheinlich eines der exotischsten Alben, die je die oberen Regionen der UK-Charts erreichten. Antidotes war ein spezielles Album, das mit seinen Retro-Gitarren und den eigenartig synkopierten Beats zum Inbegriff des seinerzeit aufkommenden Begriffs „Afro-Beat“ wurde und FOALS innerhalb kürzester Zeit zum großen Thema in der internationalen Fachpresse machte.
Zwei Jahre danach haben FOALS eine gewichtige Entscheidung getroffen: Anstatt ihren Sound und das gesamte Outfit der Songs noch weiter zu verdrehen und elaboriertes Chaos zu hinterlassen, haben FOALS auf Total Life Forever zum Song gefunden. Weniger halsbrecherisch und viel entspannter entwickeln FOALS nun Emotion und Melodie, etwa auf dem ersten Vorab-Track Spanish Sahara (s. Video), der auf fast sieben Minuten Länge ein nahezu überwältigendes Anschwellen von Sounds darstellt, die allen Raum haben, sich zu entwickeln.
„Die Band begann mit einem ganzen Regelwerk an Vorgaben“, blickt Yannis Philippakis zurück. „Ästhetische Parameter, eine Gitarre, die im Stakkato in den hohen Tonlagen gespielt wird… all dieser Kram, wisst Ihr? Das Album Antidotes und wir selbst strotzten nur so von theoretischer Auseinandersetzung, und so haben wir versucht, uns für Total Life Forever auf einen naiveren Boden zu begeben und die ganze bewusste Auseinandersetzung auszulassen. In einem Song geht es nun vor allem um den Ausdruck. Das ist einfach ehrlicher.“
Das Ergebnis ist ein Sound, der so überzeugend emotional ist wie Antidotes körperlich war. Wo Antidotes seine eigene Gegenwart mit massiven Polyrhythmen und gellenden Schreien manifestierte, wirken Songs wie der Opener Blue Blood, 2 Trees oder Black Gold viel gelöster und lassen dem Hörer Raum die Seele eines Songs Stück für Stück zu ergründen. In Total Life Forever hört Yannis - und der Hörer ebenso - wie die alte Art zu schreiben und der alte Weg, die Songs aufzunehmen langsam aber sicher verschwindet, etwa wie die „Leiche eines Wals“, die sich nach und nach auflöst - was bleibt, wenn das Fleisch gegangen ist? Verschwindet die fleischliche Substanz des gestrandeten Köpers, oder wird der Abstand zwischen den Rippen größer? FOALS haben ihren Sound zurückgenommen und haben ihr Inneres nach außen gekehrt, um nach dem unsichtbaren Menschlichen zu suchen. Und manchmal, wie im nostalgisch-schönen This Orient, kommt es einem so vor, als könne man hören, wie sich die Vergangenheit in Luft auflöst. Dieser frei gewordene Raum - nennen wir ihn „Soul“.
Das organisatorische Herz der Operation FOALS ist wesentlich weniger schwer zu fassen als die Entwicklung, die die Musik genommen hat. Innerhalb der letzten Jahre ist das Haus, in dem FOALS residieren, nämlich in der Oxford-Vorstadt Jericho, zu dem geworden, was sie „ein richtiges, old-school Headquarter“ nennen, „eine zentralisierte Energiebasis“. Das vierstöckige Stadthaus wird stets von einem ganzen Haufen von Künstlern, Fotografen, Musikern und Freunden bevölkert, und etwa 80% von Total Life Forever entstand im Erdgeschoss des Gebäudes, das sie The House of Supreme Mathematic nennen.
„Das attraktivste Argument in einer Band zu spielen, ist immer gewesen, dass man seine eigene Community und Kultur schaffen kann,“ so Yannis. „Unsere eigene Dynastie. Irgendetwas passiert und es berührt eine ganze Gruppe von Leuten. Ok, Oxford hat so seine Probleme, aber in einer Metropole wie London wäre das wohl nicht möglich gewesen.“
Nachdem sie der Ungeduld und der Hektik der Hauptstadt entkommen waren, hatten FOALS genug Zeit, sich selbst und ihre Musik innerhalb der stabilen Wände ihres Zuhauses einzubetten. Eine alte Duschecke wurde als Gesangskabine wieder geboren, die Texte wurden diesmal nicht in letzter Minute geschrieben, sondern entstanden in den Ruhestunden zur Mitternacht. Total Life Forever besitzt eine Ahnung von Intimität, die woanders nicht hätte entstehen können. Man hört dies in der neu gefundenen Verletzlichkeit in Yannis’ Vocals - vielleicht als auffälligste Symptom der Evolution von FOALS.
„Ich spüre, wie ich in meinen Texten inzwischen viel weniger Masken trage,“ gibt Yannis zu, der auf dem Album wirklich zu etwas gefunden hat, was man Gesang nennen kann. „Vorher fühlte ich mich hinter den kryptischen Images irgendwie geschützt - ich mochte es, nichts von mir zu zeigen - aber auf dem neuen Album habe ich versucht, Dinge viel wahrhaftiger auszudrücken.“
Im emotionalen Zentrum des Albums, dem Song Spanish Sahara, ist es unüberhörbar, dass ein Mann seine Gedanken, Gefühle und Zukunftsphantasien klar ausspricht, wozu die verdrehten Stakkato-Gitarren des Vorgängers nur ansatzweise in der Lage gewesen wären. Total Life Forever vermittelt das Gefühl, dass da etwas abgeschliffen wird, dass eine Entschlackung stattfindet. Und dies ist auf jeden Fall eine bessere Grundlage für Yannis, dessen natürliches Charisma und Freimütigkeit jene Lücken füllen, die zuvor voll von den Gitarren waren, welche die Zügel der FOALS fest in der Hand hielten.
Total Life Forever wurde von Ex-Clor-Mann Luke Smith in Göteborg aufgenommen und zeigt die Band im Zusammenspiel harmonischer als je zuvor, aber auch sehr viel engagierter in Bezug auf die eigene Jugend und Sterblichkeit. Die Texte wurden von der beunruhigenden Vision des amerikanischen Futuristen Raymond Kurzweil in „The Singularity“ inspiriert - die nächste Stufe der Evolution, in der der Mensch einfach von „Al“ ersetzt werden wird, eine Lebensform, die sich den veränderten Bedingungen des Planeten am besten anpassen kann. Der Albumtitel stellt eine Referenz zu Kurzweils post-biologischem Menschen her, eine Verschmelzung von Mensch und Maschine mit einem Gehirn so groß wie eine ganze Galaxie und in Besitz des ewigen Lebens - was geschieht mit den menschlichen Errungenschaften, wenn der Tod selbst stirbt?
Die Texte zeigen eine Faszination an geographischer und abstammungstechnischer Entwurzelung (Yannis selbst hat einen griechischen Vater und eine südafrikanisch-jüdische Mutter) sowie am großen, Ikarus-ähnlichen Abfall eines Mike Tyson von der Gnade - „Die Idee, dass jemand über dem normalen menschlichen Dasein steht und plötzlich als… Ausschuss betrachtet wird“, so Yannis. „Was an Tyson so faszinierend ist, ist, dass er sich all dessen so bewusst ist. Er weiß, wer er ist, er kann sich artikulieren, aber er ist in diesem verdammten Kadaver seiner eigenen Geschichte gefangen.“
Eher emotional als funktionell, mehr gesungen als geschrien, eröffnet Total Life Forever ein neues Antidot im unendlichen Inner-Space. Mehr jedenfalls als darin, sinnlose Gewalt in den leeren Raum zu schleudern. Total Life Forever ist eher ein Werk von Künstlern als von Handwerkern. Es ist dabei ein persönlicher Triumph, dass sie es geschafft haben, eine Band zu sein, die sich weiterentwickelt, während sie den unendlichen, dunklen Raum erkundet, der in ihnen selbst lauert - eben jene Lücke zwischen den Rippen, wo „die Natur - oder Gott, wie immer man das nennen will - auf den Plan tritt.“
Die Fans warten dringend auf Neues von FOALS. Der erste Vorab-Song Spanish Sahara wurde in den ersten Tagen 6.000 mal heruntergeladen, das dazugehörige Video wurde 44.000 mal auf YouTube aufgerufen und befindet sich auf Platz 6 der YouTube-Charts. Ein guter Start für die Neuinkarnation einer faszinierenden Band!