Arjen Lucassen hatte nie Angst davor, seinen Instinkten zu folgen. Er ließ sich immer von seiner Kreativität leiten und sorgte sich nie um mögliche Konsequenzen.
Das war bereits in den 80er Jahren offensichtlich, als er noch Mitglied der erfolgreichen niederländischen Hard-Rock Band Vengeance war. Noch offenkundiger wurde dies in den 90ern, als er eine Reihe von Rockopern unter dem Namen „Ayreon“ erschuf. Zur Überraschung von vielen (inklusive seiner eigenen) wurde jede epische Rockoper, die Ayreon auf die Welt losgelassen hatte, ein internationaler Erfolg. Seine Arbeit mit Ayreon inspirierte auch eine ganz neue Generation Komponisten, die Kunstform Rockoper wiederzubeleben.
Arjens Widerwille, sich Trends und femden Erwartungen zu beugen, manifestiert sich in seiner neuesten Veröffentlichung „On this perfect day“, dem ersten Album seines neuen Projektes „Guilt Machine“. Hier entfernt er sich von der übertriebenen Komplexität von Ayreon zugunsten der Einfachheit eines relativ kleinen Line-Ups. Anstatt ein Ensemble von Sängern zusammenzustellen, warb Arjen Jasper Steverlinck, den Sänger der Belgischen Alternative Rockband "Arid", als den einzigen Sänger von Guild Machine an. Chris Maitland (Ex-Porcupine Tree) wurde als Schlagzeuger verpflichtet. Arjens Partnerin und Managerin Lori Linstruth liefert die Gitarrensoli. Die übrigen Instrumente spielte Arjen selbst ein, er singt außerdem die Backing Vocals.
Künstlerisch ist Guilt Machine ein sehr persönliches Statement, das Jahre emotionalen Aufruhrs widerspiegelt. „Die letzten Jahre waren ziemlich hart für mich, gefolgt von Ende einer langjährigen Beziehung“ sagt Arjen Lucassen. „Diese dunkle Zeit hat ihre Male hinterlassen: ich litt einige Zeit lang unter Depressionen. Zusätzlich habe ich meinen Geruchs- und Geschmackssinn verloren, ein Zustand, der „Anosmie“ genannt wird.“ Lachend fügt er hinzu: „Obwohl einige Leute vielleicht sagen, dass ich bereits davor keinen Geschmack hatte.“
“Mit Depressionen habe auch ich die meiste Zeit meines Lebens gekämpft”, fügt Lori Linstruth hinzu. „Seitdem Arjen und ich mehrere heftige Phasen hatten, ist es nur natürlich, dass das sich das Konzept hinter Guilt Machine daraus entwickelt hat. Ich interessiere mich für Psychologie und wie der Geist arbeitet, und irgendwann gelangte ich an eine wissenschaftliche Studie, die die Rolle von automatisch entstehenden Schuldgefühlen bei Depressionen behandelt. Es ist, als wäre der depressive Geist wie eine Maschine, die ständig und automatisch Schuldgefühle produziert, ob sie nun gerechtfertigt sind oder nicht. Damit hatten wir es: eine Thematik - und einen Bandnamen.“
Arjen bestimmte Lori als Textschreiberin für Guilt Machine, etwas, das mehr oder weniger durch Zufall passierte. „Ich wollte einige Vocals als Leitfaden für die Demos aufnehmen, an denen ich gerade arbeitete" erklärt Arjen, „also fragte ich Lori, ob sie welche schreiben könne. Einige Stunden später zeigte sie mir was sie geschrieben hatte und ich war völlig hin und weg. Es war genau das, was ich für dieses Projekt haben wollte: die wirkliche Welt, emotionale Bilder die eine Geschichte erzählen, aber dennoch Raum für Interpretationen lassen. Ich wusste sofort, dass ich dem niemals ebenbürtig sein würde, oder es gar übertreffen könnte, und so fragte ich sie, ob sie nicht alle Texte schreiben könne. Außerdem bin ich wesentlich besser darin über Außerirdische zu schreiben!“
In der Zeit nach seinem 2007 erschienen Ayreon-Album 0101100, das mit der Aufnahme einer Besetzung von nicht weniger als 17 Sängern verbunden war, wollte Arjen ein Projekt wesentlich kleineren Ausmaßes verwirklichen. „Zero-One war ein logistischer und finanzieller Albtraum“ erinnert er sich lachend. „Deshalb wollten wir „On this perfect day“ in einem überschaubaren Rahmen halten. Des Weiteren stellte das Arbeiten mit einer kleineren Gruppe auch eine willkommene neue Herausforderung dar. Einige Menschen sagen mir manchmal, dass sie denken wie hart es sein muss, Stücke für die große Besetzung von Sängern bei Ayreon-Songs zu schreiben. Tatsächlich ist das leicht: ich kann mir Sänger aussuchen, die auf jedes einzelne Gefühl, das ich ausdrücken möchte, spezialisiert sind. Doch bei Guilt Machine musste ich einen einzigen Sänger finden, der das komplette Spektrum der Emotionen abdecken kann und der vielfältig genug ist, Dinge bis zum letzten Song interessant zu gestalten.“
Während der langen und unerbittlichen Suche nach einem Sänger, erhielt Arjen von seinen Fans unzählige Vorschläge, die jedoch alle unpassend waren. Doch schließlich bekam Arjen eine E-Mail von einem Fan, der Jasper Steverlinck von der belgischen Alternative-Rockband Arid vorschlug. Arjen erinnert sich: „Ich hörte einige Songs von Arid auf ihrer MySpace-Seite und wusste sofort, dass Jasper die Art von Stimme hatte, die ich suchte. Er hat ein unglaublich breites Spektrum und seine Art zu singen ist voller Emotionen. Außerdem hat er eine perfekte Aussprache, was sehr wichtig für mich ist. Ich ging mir also eine Arid-Show ansehen und wurde von der bloßen Kraft seiner Stimme schlicht umgehauen. Ich wusste, ich hatte den perfekten Sänger für Guilt Machine gefunden und machte mich daran, herauszufinden, ob er interessiert wäre.“
Zu Anfang wusste Jasper nicht, was er mit dem plötzlichen Interesse des großen Holländers anfangen sollte. „ich hörte einige seiner früheren Alben und wusste nicht, was ich davon halten sollte, denn es war nicht die Art Musik, die ich gewöhnt war. Erst nach einem langen Telefonat mit Arjen war ich wirklich interessiert. Ich merkte genau, dass es bei Arjen nur um die Musik geht, Musik ist seine große Leidenschaft. Außerdem stellte sich heraus, dass wir eine gemeinsame musikalische Grundlage hatten: Pink Floyd, Radiohead und Muse. Außerdem war ich ebenfalls langjähriger Iron Maiden-Fan. Als ich hörte, dass Bruce Dickinson auf einem von Arjens Alben gesungen hatte, wusste ich, dass es unvermeidlich war: Ich musste an diesem Abenteuer teilnehmen.“
Auf “On this perfect day” spielt Chris Maitland Schlagzeug. Arjen Lucassen arbeitete zum ersten Mal mit dem Musiker aus Großbritannien zusammen. „Verglichen mit vielen meiner früheren Projekte ist die Musik von Guilt Machine selbstbeobachtender und ruhiger. Deshalb wollte ich dieses Album mit einem Schlagzeuger aufnehmen, der laut spielen kann, wenn es nötig ist, der jedoch auch mit subtileren Passagen umgehen kann. Während seiner Zeit mit Porcupine Tree hat sich Chris zu solch einem vielfältigen Drummer entwickelt. Und das hat er auch bei Guilt Machine bewiesen.“
Die Anzahl von Musikern und Sängern wurde klein gehalten, doch es können auf dem neuen Album immer noch zahlreiche Stimmen in Form von gesprochenen Nachrichten von Fans auf der ganzen Welt gehört werden. „Ich wollte etwas Besonderes hinzufügen, etwas, das über die Musik selbst hinausgeht.“ erklärt Arjen. „Wir haben verschiedene Möglichkeiten in Betracht gezogen, die Fans mit einzubeziehen und schließlich setze sich die Idee durch, kurze Audionachrichten einzubauen. Lori dachte sich Methoden aus, Audiodateien über das Internet, E-Mail oder Telefon zu sammeln und bat dann die Fans, ihre Gedanken zu den Themen Schuld, Wut, Angst oder anderen starken Gefühlen aufzunehmen, alle in ihren Muttersprachen.“
Lori beschreibt: „Die Reaktion war überwältigend. Wir haben rund 200 Nachrichten aus aller Welt erhalten. Natürlich mussten wir eine Auswahl treffen und haben schließlich 19 Nachrichten in das Album mit einbezogen. Es war herzzerreißend wählen zu müssen, ich wünschte, wir hätten alle nehmen können. Um zumindest einen kleinen Ausgleich zu bieten, haben wir so viele zusätzliche Nachrichten wie möglich auf einen Track der Bonus-CD von „On this perfect day“ gepackt.“
Arjen ist stolz auf sein Werk, er nennt es sein bislang kostbarstes und bestes Nebenprojekt und ist zuversichtlich, dass es seinen Zuhörern ebenso ergeht. „Ich habe erkannt, dass Guilt Machine ein neues Kapitel in meiner Karriere darstellt. Wie die Leute darauf reagieren? Ein Teil von mir hat Angst davor, was die Leute davon halten, ich kann deshalb nachts oft kein Auge zumachen. Doch der andere Teil ist sehr zuversichtlich: die Songs, die Produktion, die Texte und die Performance - ich wüsste nicht, wo man das Album verbessern könnte. Doch das Wichtigste ist, dass alles von Herzen kommt, dies ist ein brutal ehrliches Album. Ich hoffe, dass es da draußen ein Publikum gibt, welches das sofort bemerkt.“