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Blood From A Stone [Pop]
WEBSITE: hanne.hukkelberg.net
Bald sind sie vorbei, die „Nuller Jahre” und einige Redaktionen feilen bereitsan Listen mit den interessantesten Alben dieser Dekade. Stellt man hierbei die Frage, welchen Stilrichtungen in jenem Zeitraum der größte Überraschungserfolg vergönnt gewesen ist, dürfte sie wohl am ehesten mit „Folk“ und „Jazz“ beantwortet werden. Und in beiden Kategorien hat sich die Norwegerin Hanne Hukkelberg mit ihren zwei Alben „Little Things“ (2004) und „Rykestraße 68“ (2007) bestens behaupten können.
Steht die mal behutsame, mal kecke Phrasierung der Jazzgesang-Absolventin doch einer Madeleine Peyroux oder der CocoRosie-Hälfte Sierra Casady in nichts nach. Entscheidend aber ist, in welche Arrangements Hanne Hukkelberg ihre eingängigen Melodien bettet – und da verfolgt die heute 29-Jährige seit ihrem 2004er Debüt eine ganz eigene Klangästhetik: Mit geradezu ethnologischem Interesse geht sie der musikalischen Verwertbarkeit von Gebrauchsgegenständen auf den Grund. Kein Tisch und kein Teesieb, keine knarrende Tür und kein Ofenrohr, die nicht auf ihre melodischen und perkussiven Qualitäten hin untersucht werden.
Und so funktionieren Hanne Hukkelbergs erste zwei Alben wie akustische Tagebücher von Exkursionen durch ihre Heimatstadt Oslo und durch Berlin, wo sie ein halbes Jahr als Stipendiatin lebte. Während die mit Banjo, Akkordeon und Orgel instrumentierten Vaudeville-Weisen von „Little Things“ auf einen unbekümmerten Schlendergang schließen ließen, waren die Impressionen auf „Rykestraße 68“ unterschiedlicher Natur. Ausgelassene Singalong-Songs wie „Cheater’s Armoury“ und „Fourteen“ wechselten sich da ab mit Reflexionen über Berlins viele Gesichter und einer ins Mark gehenden Interpretation des Pixies-Klassikers „Break My Body“.
Bei ihren zahlreichen Konzerten, die Hanne und ihre fünf multiinstrumentalen Begleiter sowohl auf ausgewählten Festivals (Transmediale, Enjoy Jazz, South By South West), als auch auf ausgiebigen Headliner-Tourneen (u. a. in der altehrwürdigen Knitting Factory) gaben, gelang ihnen das Kunststück, die Intimität der Studioalben mühelos auf die Bühne zu transportieren. Und dort konnten sich die faszinierten Zuschauer ein direktes Bild von den eingesetzten Klangerzeugern wie Fahrradspeichen, Wassergläser und Singende Sägen machen. Lediglich das Schnurren von Hannes Kater „Obelix“ wurde als Sample eingespielt...
2008, im Jahr ihrer ersten USA-Tournee, war Hanne Hukkelberg auch auf dem Soundtrack des Disney-Fantasy-Streifens „The Chronicles of Narnia: Prince Caspian“ mit dem Exklusivstück „Lucy“ vertreten und befand sich da neben Regina Spektor und Oren Lavie in bester Gesellschaft. Diese einnehmende Piano-Ballade ist jedoch nicht repräsentativ für Hanne Hukkelbergs drittes Album „Blood From A Stone“, das jetzt ganz neue Facetten der Musikerin zum Vorschein bringt.
„Bei diesem Album haben mich die Geschmacksvorlieben meiner Jugendzeit inspiriert, von denen ich finde, dass sie zu kostbar sind, um verworfen zu werden: eine Mischung aus New Wave, No Wave und Indierock“, so beschreibt es die Künstlerin. Ihr aktuelles Werk hat sie wieder mit Kåre Chr. Vestrheim (u.a. bekannt als Produzent von Jaga Jazzist, Gluecifer, Shining, Morten Harket...) im Osloer Propeller Studio aufgenommen, aus dem diesmal alle digitalen Stimmgeräte verbannt wurden. Die dadurch leicht leiernden und mit viel Hall versetzten E-Gitarren und Bässe wecken in der Tat Assoziationen zu melodieverliebten Goths wie die frühen Cocteau Twins, Siouxie & The Banshees, Fad Gadget, Echo & The Bunnymenm und Einstürzende Neubauten.
Gleichwohl trägt der detailverliebte Klangkosmos unverkennbar Hanne Hukkelbergs Handschrift, selbst wenn die rhythmische Komponente an Schärfe gewonnen hat. Lassen doch die tribal-drum-artigen Ausbrüche auf „Bandy Riddles“ und „Salt Of The Earth“ gleichermaßen an Kate Bushs „Hounds Of Love“ und an Tom Waits Ölfässer-Experimente denken – nur dass hier stattdessen Kühlschränke traktiert werden (und zwar von der Captain-Beefheart-verwandten Jazz-Metal-Band Hurra Torpedo).
Komponiert wurden die 10 neuen Stücke in einem gut ausgestatteten Gemeindehaus auf der norwegischen Insel Senja (300 Kilometer vom nördlichen Polarkreis), wo Hanne 2008 ganze sieben Monate verbrachte. Während bei „Rykestraße 68“ die ruhigen Songs eine Art Gegengewicht zum Berliner Großstadttrubel bildeten, sollten in der ländlichen Abgeschiedenheit umso mehr energetische Uptempo-Stücke entstehen. Wie etwa das auftrumpfende und unverschämt eingängige „In Here/Out Here“, das die politische Vogel-Strauß-Attitüde („to keep it comfortable I close my eyes“) ebenso (selbst-)ironisch pointiert wie das mit zackigen Strophen und lieblichem Refrain versehene Porträt eines Opportunisten im Titelsong.
Die direkteren Texte – ob sie nun die Überwindung von Geschlechterrollen („Midnight Sun Dream“, „Salt Of The Earth“) thematisieren, die Existenz einer höhergestellten Macht bestreiten („No One But Yourself“) oder die Einsicht ins Unabwendbare („Crack“) behandeln - korrespondieren auch mit deren gesanglichen Umsetzung. Ließ Hanne Hukkelberg auf „Rykestraße 68“ schon im Song „Ticking Bomb“ erkennen, dass sie keineswegs auf ihr charmantes Torch-Song-Timbre festgelegt ist, so kommt in den 10 Stücken auf „Blood From A Stone“ auf ganzer Länge zur Geltung, welch Maß an Expressivität bei ihr vorhanden ist.
Selbst wenn einigen Liebhabern ihrer vorangegangenen Werke der Übergang vom leichtfüßigen „Cheater’s Armoury“ zum düsteren, alle Tiefen auslotenden „Salt Of The Earth“ ähnlich überraschend sein mag wie einst für Kate-Bush-Fans der Schritt von „Army Dreamers“ zu „Sat In Your Lap“, so ist die Offenbarung jener – bis dato kaum gekannten - Seite von Hanne Hukkelbergs Künstlerpersönlichkeit ebenso faszinierend.
Tracklisting: - Midnight Sun Dream
- Blood From A Stone
- Bandy Riddles
- No Mascara Tears
- Seventeen
- Salt Of The Earth
- No One But Yourself
- In Here/out There
- Crack
- Bygd Til By
(Quelle: Sven-Erik Stephan, Beatsinternational, 2009)
FORMAT: CD
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