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„Wenn du tanzt, befreist du deine Gefühle und sagst Dinge, für die es keine Worte gibt. Du würdest nie glauben, wie schüchtern ich bin, wenn du einmal gesehen hast, wie ich tanze.“
LYKKE LI kann nur schwer still sitzen. Ihr ganzes Leben und ihre Karriere ist von einer ungeduldigen Neugier bestimmt, die sie dazu bringt, um jede Ecke zu blicken, um zu sehen, was dort ist. Und ihre Musik ist voll von dem Drang, sich zu bewegen und größte Freiheit zu erreichen. Es ist gerade mal 18 Monate her, dass sie sich bei ihrem Mentor und Produzenten Björn Yttling darüber beklagte, dass sie in ihrem Leben alles falsch gemacht hätte. Immerhin war sie schon 21 Jahre alt und hatte noch immer kein Album aufgenommen. Inzwischen ist sie 22 und stellt überrascht fest, dass ihr die Welt zu Füßen liegt. LYKKE LI ist einer dieser Menschen, die die Leute einfach lieben müssen. Und auf ihrem Debüt Youth Novels, das auf ihrem eigenen Label LL Recordings erscheint, wird auf Anhieb klar, warum das so ist.
„Ich bin immer auf der Suche nach etwas Rauem und Echtem“, erklärt LYKKE LI. „Ich will ein direktes, intensives und persönliches Gefühl schaffen: eine Vision, die zwar einfach ist, aber auch Tiefe besitzt.“ Zugänglich, aber vielseitig genug, dass man sie auch mehrmals hintereinander hören kann – das ist die Formel, die Youth Novels zu einem außergewöhnlichen Album macht. Und das liegt nicht zuletzt an der Instrumentierung: Ein Cembalo, eine Theremin, Flöten und viele andere selten gehörte Klänge bevölkern das Album und umschmeicheln die feine, süße, aber auch eindringliche Stimme LYKKE LIs.
Youth Novels ist wie ein Buch, das immer wieder an derselben Stelle aufklappt, und in dem immer wieder die gleichen Themen durchblicken: Ihre Geschichten erzählen von Liebe, Einsamkeit, Frustration und Besessenheit. Und sie sind so bewegend, weil sie wahr sind, denn LYKKE LI erzählt auf Youth Novels aus ihrem eigenen Leben. Das Album entstand im Laufe der vergangenen 10 Monate und enthält 14 Kapitel, die allesamt wohl durchstrukturiert und fesselnd erzählt werden. Von Little Bit, das in Schweden bereits zu Hit wurde, zieht es seine Kreise über das Pop-Hymnchen "I’m Good I’m Gone" und spinnt den Faden mit "Breaking It Up" weiter, dessen Chor von einer entwaffnenden Naivität ist. Und es ist von einem steten Drang bestimmt weiterzugehen: „Ich glaube, ich werde nie zufrieden und ruhig werden“, gibt sie zu.
Um zu verstehen, wie es dazu gekommen ist, muss man 22 Jahre zurück gehen, als LYKKE LI Zachrisson (ihr Nachname) ihr Nomadenleben begann: Wir befinden uns in Nordeuropa, und die Giftwolken Tschernobyls lassen ihren radioaktiven Regen über Stockholm niedergehen. Im ganzen Land, ja in ganz Europa bildet sich ein neues Bewusstsein für die Umwelt. LYKKEs Eltern, die Mutter eine Fotografin, der Vater ein Musiker, ziehen erst von der Stadt auf das Land und dann schließlich ganz weit weg: nach Portugal, wo sie sich ein kleines Haus in den Bergen bauen. Nach ein paar Jahren geht es dann erst nach Lissabon und schließlich zurück nach Schweden, dessen kalten Wintern sie jedes Jahr durch monatelange Aufenthalte in Indien entfliehen. In jedem Sommer geht es dann wieder nach Schweden. Wenn LYKKE also auch einen schwedischen Pass besitzt – sie ist überall zuhause. In Europa wie in Asien, in der Stadt wie auch in den Vororten, die sich in den digitalen und doch organischen Sounds des Albums niederschlagen.
LYYKE LI durchtanzte ihre Kindheit. Ihr wertvollstes Gut war eine Cassette mit Madonnas „Immaculate Collection“, das sie komplett ihrer Familie vortrug: Mit ausgestopftem Büstenhalter und viel Schminke im Gesicht präsentierte sie „Like A Virgin“, „Erotica“ und alle anderen Songs. Tanz war ihre Sprache, die sie im Song Dance, Dance, Dance verewigte: Having trouble telling how I feel but I can dance, dance, and dance; couldn’t possibly tell you what I mean but I can dance, dance, dance …
„Ich passte nirgendwo hin“, denkt sie zurück. „Ich hasste die Schule und alle die dazugehörten. Und Dance Dance Dance beschreibt, wie ich dieses Gefühl der Stille und des Unwohlseins hinwegtanze.“ In ihren Teen-Jahren tanzte sie sogar im Hintergrund für andere Künstler, aber: „Wie immer habe ich mir selbst alles kompliziert gemacht. Alle meine Freunde waren Tänzer, und ich hörte damit auf. Es war mein Traum gewesen, aber plötzlich langweilte es mich. Also schrieb ich Songs und entschied mich zu singen, aber ich war schlecht.“ Und so trat sie erstmal einem Gospel-Chor bei.
Damals war die Popszene bestimmt durch fantastische Exzentriker wie Prince oder Kate Bush, die außergewöhnliche Talente besaßen, welche aus einer anderen Welt zu kommen scheinen. „Ich suchte Zuflucht bei solchen Künstlern und bei Edith Piaf, denn ich dachte, da fühlt jemand wie ich“, lächelt LYKKE LI. „Ich werde von Leuten inspiriert, die anders sind als andere.“ Aber ihre Erfahrung mit „Immaculate Collection“ wirkte nach: Sie beendete die Schule und beschloss, Sängerin zu werden.
Mit 19 ging sie nach New York und gestand sich drei Monate zu, in denen sie etwas schaffen wollte. Sie mietete einen Raum in einem schmuddeligen Vier-Betten-Apartment in Brooklyn und schrieb sich an einer Schauspielschule im Fach Improvisation ein, um den Mut zu finden, sich in einer Open-Mic-Nacht dem Publikum zu stellen. Eines Nachts im legendären SOB-Club rief jemand im Publikum: „Holt endlich das weiße Girl von der Bühne!“ und das Publikum buhte LYKKE LI aus der Veranstaltung. „Als ich wieder klar denken konnte, wusste ich, dass es nicht mehr schlimmer kommen könnte“, erinnert sie sich. „Und darüber war ich irgendwie froh. Man muss sowas durchmachen, bevor man ein echter Künstler wird.“ LYYKE LI änderte die Taktik, erfand sich selbst neu und gab vor, ein großer schwedischer Star zu sein, der müde vom Erfolg war. Sie schrieb eine fiktive Autobiographie und ließ Fotos machen. „Ich war ein schwedischer Superstar,“ grinst sie. „Ich hatte auf jeder Bühne gesungen.“ Der Plan schien zu funktionieren – dann lief das Visum aus.
Zurück in Schweden waren die Eltern gerade mal wieder in Indien. LYKKE verbrachte die dunklen Wintermonate allein und leckte ihre Wunden, indem sie dachte: „Verdammter Mist.“ Und irgendwann zwischen „Verdammter Mist“ und der Überlegung, wie sie an Geld käme, um nach New York zurück zu gehen, arbeitete sie an ihren Songs. Sie richtete eine Myspace-Seite ein und plötzlich meldeten sich Leute aus der ganzen Welt. Irgendein Produzent schrieb ihr, wie mies ihre Demos waren und machte sie mit seinem Kumpel Björn bekannt. Der war aber schwer zu erreichen, weil er ständig mit seiner Band Peter Bjorn and John (Indie-Hit: „Young Folks“) unterwegs war, in Japan, in LA oder sonst wo. Aber alle paar Wochen schaffte sie es, ihn zu einer Session zu überreden. „Ich hatte das Gefühl, mein Leben zerrinnt mir unter den Fingern“, lacht sie heute. „Ich dachte: Ich bin schon zwanzig! In einem Monat bin ich 21! Björn meinte nur, ich sei verrückt.“
Aber LYKKE LI gab nicht auf, fertigte Demos an, postete sie auf Myspace und hatte schließlich ihren ersten echten Auftritt mit Beats aus dem iPod. Ein Journalist schwärmte in einer Rezension von ihr und der Ball kam ins Rollen. „Man muss einfach alles selbst machen,“ sagt sie sachlich. „Ich vertraue nie darauf, dass Leute irgendwas machen, denn das tun sie nicht. Außer Björn.“ Denn obwohl der Mann Zeitnot-geplagt war, wusste er, dass LYKKE LI etwas Besonderes war und machte sich immer wieder an ihre Songs. Es entstand ein Band zwischen ihnen. „Ich wollte immer ein Genie finden, das weiß, dass ich ein Genie bin“, lacht sie. „Und vieles an dem Album ist das Ergebnis dessen, dass Björn etwas in mir sah. Er wusste, dass ich nie eine Christina Aguilera werden würde. Aber er glaubte an mich und gab mir Zeit, besser zu werden.“ Und plötzlich begann die ewig alles vorantreibende LYKKE LI das Tempo zu drosseln. Die Fans wollten mehr: Festivalauftritte im Sommer, mehr Musik, mehr Öffentlichkeit. LYKKE LI ging mit Royksopp und Kleerup ins Studio und hatte das Gefühl, dass ihr die Kontrolle aus den Händen glitt. Ihr – einer überzeugten Perfektionistin, die vom Songwriting über das Artwork bis hin zum Marketing alles selbst machen wollte. „Ich hatte doch erst vier Songs und bekam diesen unglaublichen Hype. Mir wurde das alles zu groß.“
Im Oktober 2007 ging sie nach New York, um das Album fertigzustellen. Diesmal war alles anders: Sie hatte etwas Geld, stand überall auf den Gästelisten und lebte im East Village. Das genaue Gegenteil ihres ersten Besuchs.
Einen entscheidenden Punkt beschreibt der Song Hanging High, auf dem LYKKE LI ihre wunderbaren Melodien mit einem nahezu brutalen Text versieht: "These razors cutting sharp, it leaves me with an ever bleeding scar… So soft, so suddenly, so that I can not breathe, I’m drawn into a circle painted black".
„Als ich Hanging High schrieb, wusste ich nicht, worin das Problem in meinem Leben bestand, aber ich spürte mit jeder Faser meines Daseins, dass ich es nicht überstehen würde, wenn ich noch einmal enttäuscht werden würde. In diesem Song beschreibe ich, wie es ist, auf sehr dünnem Eis zu gehen. Ich werde immer stark von den dunklen Seiten des Lebens angesprochen, und ich kann sehr emotional und dramatisch sein.“ In einem anderen Song, Let It Fall, erzählt sie von dem Wohlgefühl, dass man manchmal in der schmerzhaften Erfahrung findet, wenn man selbst Tränen vergießt. „Mir fiel auf, wie oft ich weinte, und dass das nicht unbedingt schlecht ist. Ich weine, wenn ich Filme sehe, und Gott allein weiß, wie oft ich geweint habe, um meine Eltern zu manipulieren. Das ist auch sehr entspannend und tut einem gut. Tränen können sehr poetisch sein. Lass sie kommen – je mehr Drama, desto besser!“ Ein ganz anderes Thema behandelt dagegen Breaking It Up. „Da geht es darum, dass ich immer diejenige bin, die jemanden verlässt, damit ich meine Träume verfolgen kann. Meine Kreativität verhindert, dass ich eine feste Beziehung führen kann, denn ich denke immer über neue Ideen nach. Ich fühle mich immer schlecht, mit Leuten etwas anzufangen, weil ich weiß, dass es nie lange halten wird. Ich bleibe eine kleine Weile, aber niemals wirklich lange…“
So wie ihre Musik von einem fernen Planeten zu kommen scheint, ist man mit Sicherheit auch noch nie jemandem begegnet, der so ist wie LYKKE LI. Manchmal nervös und unglaublich ungeduldig, spürt sie, dass sie viel zu zerbrechlich für den Erfolg ist, der vor ihr liegt. Aber nichtsdestotrotz stürmt sie immer weiter voran, ohne Rücksicht auf Verluste…
(Quelle: Warner Music, 15.5.2008)
FORMAT: CD
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