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„Musiker sind Propheten – und Musik ist die einzige Energieform auf Erden, die direkt ins Bewusstsein geht.“
Er weiß nicht, wo er geboren wurde. Er weiß nicht genau, wie alt er ist. Seine Kindheitserinnerungen enden, als er sechs Jahre alt ist. Sie werden durch Horrorerlebnisse verdrängt, die sich niemand im Westen vorstellen kann.
Diese außergewöhnliche Geschichte erzählt uns Rapper Emmanuel Jal auf seinem neuen Album „Warchild“, das im Juni erscheint. Emmanuel Jal ist ein leise sprechender junger Mann mit einem warmherzigen Auftreten und einem singenden Unterton in der Stimme, den man sich nicht mit einer Maschinenpistole in der Hand vorstellen kann. Die Wahrheit sieht anders aus: Emmanuel lernte den Umgang mit einer Maschinenpistole früher als das Radfahren.
Auf „Warchild“ erzählt er seine Lebensgeschichte, eine Geschichte über den Horror der Unterwerfung, über fremde Ideologien, über vergossenes Blut im Namen der Freiheit. Eine wahre Geschichte über das Erwachsenwerden in einem Krisengebiet, über Rebellion, Hunger und Ignoranz. Die Geschichte eines Kriegskindes, das heute Frieden predigt. Die Waffen in seinem Leben waren nicht die eines angeberischen Hip-Hoppers, der mit Kanonen in einem Videoclip rumfuchtelt. Es waren echte Waffen – und er brauchte sie zum Überleben.
„Ich komme aus dem Sudan. Als ich klein war, verließen uns die Briten, und die Religion wurde zum Hauptproblem. Ich meine die Scharia, das Gesetz der Muslime. Als die Araber in den Sudan kamen, schleppten sie dieses Gesetz ins Land. Andere Religionen durften nicht mehr ausgeübt werden. Aber meine Leute ließen sich das nicht gefallen...“ Die Folgen: Bürgerkrieg, Hunger, Tod, Flucht. Emmanuel muss mitansehen, wie seine Mutter geschlagen, seine Großmutter verhaftet und seine Tante vergewaltigt wird – von Staatsbeamten. Er ist einer von vielen kleinen Jungen, die von dieser grausamen Umgebung vergiftet werden.
Mit sechs Jahren steckt ihn sein Vater, ein Mitglied der Widerstandsorganisation „People’s Liberation Army“ (SPLA), in einen Rebellenkampfverband. Emmanuel soll mit Hunderten anderen Kindersoldaten in eine äthiopische Schule – sie müssen zu Fuß nach Äthiopien laufen. Viele überleben den Gewaltmarsch nicht, ertrinken, werden von wilden Tieren angefallen oder verhungern. Die Überlebenden lernen den Umgang mit Waffen und das Töten. „Das war 1992, und ich war wütend. Ich wollte den Kampf unterstützen. Ich dachte, ich könnte lernen, Kampfjets zu fliegen, um sie wegzubomben. Ich dachte damals nur ans Töten. Wir übten an Tieren, die wir anschließend vergruben, damit sie die Araber nicht finden. Ich wollte so viele Araber wie möglich töten – sie töteten uns ja schließlich auch.“ Völlig verängstigt und erschöpft vom Morden desertieren Emmanuel und ein paar andere Kinder schließlich – und werden als „Lost Boys“ bekannt. Sie schleichen zu Fuß über das sudanesische Ödland, schwimmen durch krokodilverseuchte Flüsse und schlagen sich mit Schlangen rum, um den Klauen des Kriegs zu entkommen. 400 machen sich auf den Weg, aber nur 16 kommen an. Sie finden in einem Flüchtlingslager im südlichen Sudan Unterschlupf.
Emmanuel trifft Emma McCune, eine britische UNICEF-Mitarbeiterin, die ihn nach Kenia bringt, um ihm neue Perspektiven zu eröffnen. „Dank Emma habe ich überlebt“, ist sich Emmanuel sicher. „Sie brachte mich in die Schule, sie verbesserte mein Englisch. Kenia hatte gute Schulen und eine aufblühende Wirtschaft, aber die Umgewöhnung fiel mir schwer. Ich war ständig in Fights verwickelt, hielt mich immer noch für einen Kämpfer, der vertrieben werden soll. Aber irgendwann änderte ich mich. Ich las den Koran und die Bibel, und ich sang im Kirchenchor. All das heilte meine Seele. Als ich mich Gott öffnete, verschwand all die Bitterkeit und Angst aus meinem Herzen.“
In Kenia lernt der junge Emmanuel auch die Musik kennen. Er beginnt damit, seine ersten Songs zu schreiben – „Musik für den Frieden“, wie er es ausdrückt. „Dort kam ich auch erstmals mir Rap in Berührung. Ich mochte den HipHop, weil ich mich mit ihm identifizieren konnte, mit all den Problemen, die in ihm angesprochen wurden. Musik ist eine Form der Kommunikation – Herz, Seele und Kunst. Das sprach mich damals an, und darüber spreche ich auch heute noch. Musiker sind Propheten – und Musik ist die einzige Energieform auf Erden, die ohne Erlaubnis zu unserer Seele sprechen kann.“ Genau das versucht Jal auf „Warchild“: Menschen ansprechen, Seelen berühren, Bewusstsein schaffen. Chris Allison, der Gründer des „Sonic360“-Labels, auf dem „Warchild“ erscheint, bezeichnet das Album als eine Kombination „aus der Rohheit und Überzeugung des frühen HipHop und dem Charisma des jungen Bob Marley“. „Warchild“ erinnert an ein musikalisches Tagebuch, das HipHop mit World-Music-Rhythmen und starken Botschaften kombiniert.
Vor der Entstehung von „Warchild“ tritt er in Afrika auf und schafft es schließlich bis nach England, wo ihm seine Performances schließlich den ersten Plattenvertrag einbringen. Seine Musik landet auf dem für eine guten Zweck gedachten „Warchild – Help A Day In The Life“-Album, auf dem auch Coldplay, Radiohead und die Gorillaz vertreten sind. Auch im Leonardo-DiCaprio-Kinoknüller „Blood Diamond“ ertönen seine Songs, genauso wie in der National-Geographic-Dokumentation „God Grew Tired Of Us“ und auf der Benefiz-Doppel-CD „Instant Karma: The Amnesty International Campaign To Save Darfur“. Er tritt mit Fat Boy Slim, Razorlight, Supergrass, Faithless und Moby auf, außerdem fungiert er als Sprachrohr der „Make Poverty History, The Coalition To Stop The Use Of Child Soldiers And The Control Arms“-Aktion. Parallel zur Veröffentlichung von „Warchild“ spielt Emmanuel die Hauptrolle in der gleichnamigen Dokumentation „Warchild“, die ihre Premiere auf den Berliner Filmfestspielen im Februar 2008 feierte. Sie bekam Standing Ovations und wird auf weiteren namhaften Filmfestspielen gezeigt werden. Doch damit nicht genug: Jal ist gerade dabei, seine Autobiografie zu schreiben, und zusätzlich hat er es sich zur Aufgabe gemacht, Schulen aufzubauen. „Wir unterstützen ein Waisenhaus in Nairobi“, sagt Jal, „wir wollen den Kindern in Afrika helfen. Wir möchten sie in die Schule und auf die Universität bringen.“ Emmanuel ist im Geiste noch immer ein Soldat, ein Kämpfer, der sich der guten Sache verschrieben hat. Denn wie sagt er doch so schön:
„Ich glaube, ich habe aus dem Grund überlebt, anderen meine Geschichte erzählen zu können und sie damit zu berühren.“
Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.
(Quelle: Alexandra Doerrie, Another Dimension) FORMAT: CD
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