Die Zukunft des Funk wird umgeschrieben – und zwar von zwei umtriebigen Groove-Theoretikern namens Bibi Tanga und Professeur Inlassable. „Dunya“ nimmt seine Hörer mit auf eine wilde, eklektische Reise durch die gesamte grandiose Geschichte des Funk, legt Afrobeat-Rhythmen über elektronischen Soul und kombiniert sie mit außergewöhnlichen transatlantischen Grooves, die man hierzulande so noch nicht gehört hat.
Sänger, Bassist und Bandleader Bibi Tanga überbrückt dabei mühelos die Kluft der französischen Landeshauptstadt zwischen kunstbeflissener Süduferseite der Seine und den staubigen Randbezirken, in denen er seinerzeit als Immigrantenkind aus der Zentralafrikanischen Republik aufgewachsen ist. Seine Musik ist gekennzeichnet von geschmeidigen Basslines und einem aufsehenerregenden Falsettgesang, der einen ähnlich verführerischen Zauber wie den von Künstlern wie Prince oder Curtis Mayfield heraufbeschwört.
Professeur Inlassable („The Tireless Professeur“) hingegen gräbt ganz tief unter den Kopfsteinpflasterstraßen von Paris, um den fast vergessenen Sound und Geist einer fast vergessenen Ära zutage zu fördern. So hat das Duo im Zusammenspiel mit Bibis Band The Selenites einen bemerkenswerten Sound kreiert, der zwischen Afrofuturismus und Steampunk gänzlich neue Räume eröffnet, in denen Fela Kuti dem Sopransaxofonisten und Klarinettengott Sidney Bechet kurzerhand auf der Blockflöte den Marsch zu blasen scheint und Marcel Duchamp mit Chic so steil geht, dass man ihn für eine Y-Achse hält. In Frankreich haben sie bereits für ordentlich Aufregung gesorgt, doch nun setzen sie mit ihrer ureigenen Version von visionärem Fashion-Forward-Funk zum allesentscheidenden Rundumschlag auf den Rest der Welt an.
Geboren wurde Bibi Tanga 1969 als eines von zehn Kindern in Paris. Die ersten Jahre seines Lebens hat er jedoch vorwiegend in Städten wie Bangui, Moskau, New York, oder Washington, D.C. verbracht, denn sein Vater war Diplomat. Nach Paris zurückgekehrt ist Bibi erst wieder, als sein Vater nach einem Staatsstreich in der Zentralafrikanischen Republik vom Diplomaten zum Flüchtling und Bibis Familie somit in einem Vorort von Paris gezwungenermaßen sesshaft wurde.
„Ich war zehn, als wir wieder nach Paris gezogen sind“, erinnert sich Bibi, „und dort habe ich mich damals das erste Mal richitg heimisch gefühlt. Vorher kam ich mir stets wie ein Außenseiter vor. Natürlich war es auch dort nicht ganz leicht, vor allem finanziell, aber für mich hat es sich allen widrigen Umständen zum Trotz zum ersten Mal wie zuhause angefühlt.“
Auch Bibis Liebe zur Musik nahm erst in Paris ernste Formen an. Er erinnert sich: „Meine Eltern sind auf viele Partys gegangen, und mein Vater hatte eine riesengroße Plattensammlung. Ich bin wirklich mit einer Menge unterschiedlicher Musik aufgewachsen: Franco und Tabu Ley aus dem Kongo, Fela Kuti aus Nigeria, Bembeya Jazz aus Guniea und vieles mehr. Aber natürlich gab es bei uns auch amerikanische Musik von Leuten wie James Brown, Curtis Mayfield oder Jimi Hendrix. Nicht zu vergessen Bob Marley. Ich liebe Disco, Funk, Soul, Reggae und R’n’B. Das ist für mich alles wie eine riesengroße Bibliothek, aus der ich mich bedienen kann. All das ist wie ein Vermächtnis schwarzer Musik aus aller Welt – und ich bin ihr Erbe.“
Aber Bibis musikalische Ausbildung hat dort natürlich nicht aufgehört. Immerhin hat er die 80er Jahre als musikinteressierter Teenager in Paris verbracht, da war eine intensive Auseinandersetzung mit Punkrock und New Wave nahezu unausweichlich. Von französischen Gruppen wie Telephone bis zu britischen Bands wie The English Beat, The Specials oder The Cure – sie alle haben ohne Zweifel großen Einfluss auf seine eigene Musik genommen. Um all den Impact von außen kreativ verarbeiten zu können, hat Bibi bereits in jungen Jahren Gitarre, Bass und Saxofon spielen gelernt. Sogar Stepptanz hat er eine Zeit lang betrieben. „Das erste Instrument ist immer dein Körper“, erklärt er. „Und beim Steppen ist es fast so, als hätte man Drums unter den Füßen.“
All diese verschiedenen Einflüsse sind im Jahr 2000 zum ersten Mal gebündelt worden, als Bibi sein Debütalbum „Le Vent Qui Soufflé“ veröffentlicht hat. Der Titel entstammt einem seiner selbst verfassten Kurzgeschichten, denn Bibi Tanga ist nicht nur ein passionierter Musiker, sondern auch ein begnadeter Autor. Aufgenommen wurde die Platte in Kollaboration mit dem legendären Frenchfunk-Kollektiv Malka Family, die Bibi schon damals eine große Zukunft vorhergesagt haben.
Bibi Tangas erstes Aufeinandertreffen mit Professeur Inlassable fand 2003 statt, als die Beiden schnell herausfanden, dass sie eine ähnliche Begeisterung für nahezu dieselbe Art von Musik hegen. Und bereits drei Jahre später nahm Bibi unter den strengen Augen und Ohren von Le Professeur in Paris sein zweites Album „Yellow Gauze“ auf. Bibi erinnert sich an die Arbeit mit Professeur Inlassable: „Es war wie Magie. Er wusste genau, was ich von ihm wollte, was er von mir wollte und hat es geschafft, all das aus uns Beiden herauszukitzeln, ohne dass einer von uns dem anderen dabei im Weg gestanden hätte. So ein blindes Verständnis füreinander habe ich nie zuvor erlebt.“
Selbstverständlich bringt Le Professeur auch sein unglaublich weitreichendes Musikwissen mit ein. Als passionierter Forscher früher Phasen französischer Popmusik hat er eine komplett neue Dimension in den Sound von Bibi Tangas Musik hineingebracht und lang verloren geglaubte Klanglandschaften neu erblühen lassen – da werden ganz schnell Erinnerungen an Legenden wie Edith Piaf, Jacques Brel oder Serge Gainsbourg wach.
Nun ist endlich das neue Album da: „Dunya“. Der Name bedeutet übersetzt „Existenz“ und ist der zentralafrikanischen Sprache Sango entlehnt. Für dieses Album hat Le Professeur noch tiefer in die Trickkiste gegriffen und noch nicht einmal davor Halt gemacht, ein Sample aus dem Soundtrack von „Gabon: The Last Dance“ des National Geographic-Entwicklungsforschers Josh Ponte zu verwenden. Der Longplayer stellt sowohl eine anschauliche Momentaufnahme des Jetzt in der heutigen Musik dar, besinnt sich dabei auf die Errungenschaften von gestern und liefert zeitgleich eine vertonte Landkarte für den Weg Richtung Morgen. Zusammen mit Bibis Band The Selenites mit Arthur Simonini an Keys und Geige, Rico Kerridge an der Gitarre und Arnaud Biscay am Schlagzeug haben Bibi und Le Professeur einen nahezu außerweltlichen Sound erschaffen. Jonglierend mit Lyrics in Englisch, Französisch und Sango bettet Bibi seine intelligenten und sozialkritischen Botschaften über Themen wie Immigration, Unterernährung, AIDS und Sklaverei auf ein B(r)ett aus tanzbaren Grooves im Stile Gnarls Barkleys.
Der Name seiner Band Selenites stammt übrigens aus einer Geschichte von H.G. Wells und bezeichnet die Leute, die auf der dunklen Seite des Mondes leben. „Der Mond ist eine große Inspirationsquelle für mich, in dieser Hinsicht bin ich definitiv ein wenig romantisch veranlagt“, erklärt Bibi. „Meine Musik hingegen ist ganz fest mit dem Erdreich verwurzelt.“ Das muss sie auch. Denn ansonsten könnte sie niemals solche bunten Blüten tragen, wie sie auf „Dunya“ nachzuhören sind.