Auch wenn uns Castingshows seit Jahren das Gegenteil beweisen wollen, eine erfolgreiche Karriere als Musiker, ja, als Popstar, kann man nicht mit einem Intensivkurs aus der Konserve pressen. Wir schreiben das Jahr 2010 und hinter Paul Kalkbrenner liegen mehr als 15 Jahre als Produzent und Live-Act, in denen er gelernt hat, was es bedeutet, zielstrebig einen Schritt nach dem nächsten zu gehen.
Als die Mauer fällt, ist er 12. Der Soundtrack, der seine Jugend und die der Mehrheit seiner Generation prägen sollte, steht da selbst noch in den Kinderschuhen und wartet auf seinen Durchbruch: Techno. Nach dem Mauerfall gibt es vor allem im wiedervereinten Berlin kein Halten mehr. Der Ostteil der Stadt wird zur anarchisch-kreativen Spielwiese einer von Bürokratie befreiten, euphorisierten Jugend. Die frühen Neunziger Jahre sind auch für Paul Kalkbrenner prägende Jahre. Irgendwann, in einer von zahlreichen langen und schlaflosen Nächten auf den Dancefloors von Clubs wie Planet, Walfisch oder E-Werk, wird der Traum geboren, selber Musik zu machen. Alles weniger Wichtige bleibt auf der Strecke. Ein Job als Cutter beim Fernsehen finanziert Mitte der Neunziger das erste Equipment. Zu dem Zeitpunkt ist für Paul schon klar, dass er kein DJ sein, sondern ausschließlich seine eigene Musik live präsentieren will. Die ersten Tracks erschienen 1999 auf dem vom ehemaligen E-Werk-Resident Ellen Allien frisch gegründeten Berliner Label Bpitch Control. Der Funke springt gleich mit der ersten Platte ”Friedrichshain“ über. Weitere Maxis, zwei Alben (”Superimpose“ und ”Zeit“) und ein mit Liveauftritten zum Bersten aufgefüllter Terminkalender folgen.
Gemeinsam mit Bpitch Control gewinnt Paul Kalkbrenners Karriere an Fahrt. Die ersten Interviews erscheinen in Magazinen wie Spex und De:Bug und internationale Bookings werden zur Normalität. Der Lufthansa-Fetischist und Flugzeug-Narr Paul Kalkbrenner wird zum Vielflieger. 2004 erscheint sein drittes Album ”Self“ und läutet eine neue Zeitrechnung ein.
Gehorchte der melodische, zur großen emotionalen Geste neigende Kalkbrenner-Sound bis dahin vor allem der Logik des Dancefloors, wendet sich Paul auf ”Self“ zum ersten mal einer narrativen Ästhetik zu, die in ihrem musikalischen Erzählfluss wie ein Soundtrack zu einem noch nicht gedrehten Film wirkt. Pauls bis dato musikalischstes und reifestes Album – ein erster Ausblick auf das, was noch kommen soll. Der Dancefloor und das Rave-Erlebnis im Club bleiben natürlich trotzdem wichtigste Stichwortgeber. Der ein Jahr später veröffentlichte Track ”Gebrünn Gebrünn“ avanciert zum Crossover-Hit quer durch alle Plattentaschen und katapultierte Paul endgültig in die Umlaufbahn der Techno-Belle-Etage.
Anfang 2006 nimmt der deutsche Film-Regisseur Hannes Stöhr, der seit ”Self“ ein bekennender Kalkbrenner-Fan ist, Kontakt zu Paul auf. Er hat die Idee, einen Film über einen Elektronk-Musiker zu drehen, über das Techno-Berlin der Nullerjahre – und Paul soll den Soundtrack beisteuern. Die beiden Treffen sich, tauschen Ideen und Erfahrungen aus und beginnen irgendwann, an den ersten Drehbuch-Entwürfen zu arbeiten. Im Laufe dieses Austausches wird Hannes klar, dass Paul nicht nur den Soundtrack beisteuern soll, sondern dass er auch die perfekte Wahl für die Hauptrolle des Films ist. Paul sagt ohne lange zu Zögern zu. ”Berlin Calling“ soll der Film heißen.
Für die Produktion des Soundtracks zu ”Berlin Calling“ zieht er mit seinem Freund und Bpitch-Kollegen Sascha Funke für ein halbes Jahr in Paul Cezannes Geburtstadt Aix-En-Provence im Süden Frankreichs. Unbelastet vom grauen und feucht-kalten Berliner Winter widmet er sich hier ganz der musikalischen Seite des neuen Projektes. Nach der Rückkehr nach Berlin beginnen 2007 die Dreharbeiten zu ”Berlin Calling“. Die Arbeit am Soundtrack ist noch nicht vollständig abgeschlossen, aber auf einem guten Weg. Einen Titelsong gibt es schon: ”Sky And Sand“ mit Vocals von Pauls Bruder Fitz Kalkbrenner.
Im Oktober 2008 läuft ”Berlin Calling“ in den deutschen Kinos an. Der Film und Pauls schauspielerische Leistung bekommen gute Kritiken. In zahlreichen Programmkinos avanciert er dank seiner authentischen Darstellung der Berliner Clubszene und Drogenkultur langsam aber sicher zu einem Kultfilm.
Der Soundtrack und vor allem ”Sky And Sand“ brechen alle Verkaufsrekorde. Eine Goldene Schallplatte in Belgien, wo sich der Track wochenlang in den Top 10 hält, lässt nicht lange auf sich warten. 2008 erscheint die DVD zum Film, dank dessen Paul nun auch einem ganz neuen und ungleich größerem Publikum ein Begriff ist. Ende 2009 trennt sich Paul nach zehn Jahren von Bpitch Control, um die nächsten Schritte seiner Karriere alleine zu gehen.
Anfang 2010 markierte die binnen kürzester Zeit ausverkaufte Live Concert Tour den Startschuss. Mit weit über 100.000 Besuchern, stellt die Europa-Tournee von Paul Kalkbrenner einen Meilenstein für elektronische Musik dar.
Um dieses einmalige Erlebnis zu dokumentieren wurden 15 Konzerte auf höchstem technischen Niveau mit jeweils 5-8 Kameras parallel gefilmt und anschließend noch von der Pfadfinderei visuell bearbeitet. Unter Regie von Max Penzel und der Dramaturgie von Hannes Stöhr ( beide Berlin Calling ) entstand mit der DVD “2010 – A Live Documentary” ein 10 Titel langer Streifzug durch Paul Kalkbrenner Konzerte in ganz Europa. Neben den Live-Mitschnitten gibt ein dokumentarischer Teil sehr intime Einblicke in Backstage- und „On the road“ Szenen der Tour.