Würde man ein Buch über die elektronische Musik des letzten Jahrzehnts schreiben, wäre es ohne ein Kapitel über Ladytron unvollständig.
Konsequent legt die vierköpfige Band, bestehend aus Daniel Hunt, Reuben Wu, Helen Marnie und Mira Aroyo, mehr Wert auf die Dichtkunst und Innovation, als auf die Ästhetik, die unsere Gesellschaft vorgibt, und veröffentlichte so vier erfolgreiche Electro-Pop-Alben.
„Wir haben nie in eine bestimmte Szene gepasst, nie uns an irgendwelche Regeln gehalten und wir wollten nie etwas kreieren, was schon vorher akzeptiert wurde oder was Mainstream ist“, sagt Wu jetzt, wo er auf ein Jahrzehnt, geprägt von den Veröffentlichungen „604“ (2001), „Light & Magic“ (2002), „Witching Hour“ (2005) und „Velocifero“ (2008), zurückblickt.
Diese Alben, zusammengefasst im Karriere umspannenden „Best of Ladytron: 2000-2010“, spiegeln die gekonnt ausgeführte (und herrlich subversive) Dualität des Quartetts wider: Alte Grooves versus üppige Synthesizer und lebendige Melodien versus schimmernde Atmosphären. Ohne ihre Vorgänger, wie Kraftwerk, Gary Numan und Roxy Music (einer ihrer Songs war Namensgeber für die Band) zu kopieren, hat Ladytron ein Gesamtwerk geschaffen, das einen kreativen Bogen offenbart – und der, wie die Zeit zeigt, als Orientierungspunkt für aktuelle Künstler wie Lady GaGa, Goldfrapp, La Roux und Crystal Castles dient.
Und, ob man es glaubt oder nicht, begann all das mit einer Hand voll Hunts Songs und einer Sammlung an Vintage Synths.
Hunt und Wu lernten sich in den späten 90ern kennen und durch verschieden DJ-Gigs trafen diese im Sommer 1999 auf Marnie und Aroyo. Hunt entdeckte, dass er unzählige Interessen mit seinen Kollaborateuren teilte – französische Electronica mit Wu, Krautrock mit Aroyo und Pop mit Marnie, sowie eine gemeinsame Leidenschaft für die niederländische Band Shocking Blue. Das war eine merkwürdige Mischung in einer Zeit als die musikalische Landschaft eher mit Gitarren-Indie-Rock-Bands und House-Musik bevölkert war, weniger mit Crossover.
„Es gab einfach nicht viele Menschen, die Popmusik mit Synthesizern machten. Wir haben es nicht erfunden, haben es aber auf ganz eigene Art getan“, sagt Aroyo. „Und die Leute sagten: ‚Wow, ihr benutzt Synthesizer und seid keine Dance-Band.’ Es lief ganz zu unserem Gunsten, obwohl wir zu keinem Genre oder Trend dieser Zeit passten.“
Wu erinnert sich: „An Musik beteiligt zu sein, die nicht war wie alles andere zu der Zeit, war etwas ganz Besonderes.“
Dieses Gefühl regte in den frühen Tagen einen verstärkten Sinn für das Experimentieren an. Hunt räumt ein, dass Ladytrons eigentliche Ziele nur sehr „befristet“ waren: „Lass uns eine Single machen.“ – „Okay, den Leuten gefiel das, machen wir eine andere“ – „Okay, wir machen ein Album.“
Nach dem Erfolg der frühen Singles wie „He Took Her to a Movie“ und „Playgirl“ und die EP „Commodore Rock“, veröffentlichte das Quartett 2001 – von der A&R Legende Steve Pross auf dem US-Label Emperor Norten unter Vertrag genommen - „604“. Das Album erhielt viel Lob für seine stimmungsvollen Synthesizer und das stramme Pop-Songwriting – und plötzlich war Ladytron ein weltweites Phänomen.
Der Trubel um ihre Studioaufnahmen änderte allerdings nichts daran, dass Ladytron als Live-Act noch Neulinge waren. Trotz dessen schenkte die Europa-Tournee zu „604“ dem Quartett viel Energie, die diese schnell im Studio umsetzten, um „Light & Magic“ mit seinen verfeinerten Melodien, den labyrinthischen Arrangements, der unterschiedlichen Texturen und den breiten emotionalen Schattierungen aufzunehmen. „Seventeen“, „Blue Jeans“ und „Evil“ wurden die Underground-Hits einer Band, welche immer mehr an „above-ground“ Achtung gewann.
Mit ihrem Sound, der alles von Glam zu Disco zu New Wave zu Robot-Pop und sogar zu europäischem Dance hat, wurden Ladytron ungerechterweise mit Vertretern des Electroclashs in einen Topf geworfen. Ein Etikett, das Hunt und seine Bandkollegen kurzerhand ignorierten.
Der Kategorisierung trotzend entwickelten sich Ladytron weiter, indem sie sich noch mehr Einflüssen (u. a. Soul und Shoegaze) für das folgende Album „Witching Hour“ öffneten.
Während Ladytron zu Hause sehr zögerlich anerkannt wurden, waren sie Stars als sie endlich 2003 in Nordamerika eintrafen. Ihre erste US Tour war fast ausverkauft und sie traten bei einem von zwei Sets für das Coachella Valley Music & Arts Valley Festival mit erweitertem Line-up (Live-Drummer und Bassist) auf, was „die ganze Stimmung auf der Bühne“ veränderte. Sie waren eine Wucht.
Label Probleme verzögerten die Veröffentlichung des Albums bis zum Herbst 2005. Das rock-lastigere Album „Witching Hour“ wurde mit fast einhelliger Begeisterung sowohl in Europa sowie auch in Amerika begrüßt. Die Single „Destroy Everything You Touch“ schlug förmlich ein und wurde der Erkennungssong der Band.
Zwei ausverkaufte US-Tourneen folgten, und Ladytron wurde gebeten, das Ether Festival in London 2006 zu kuratieren. „Zum ersten Mal bekamen wir Anerkennung für unseren Einfluss in unserem Heimatland“, so Hunt.
Nach der „Witching Hour“ Tour setzte sich die vierköpfige Band sofort zusammen, um „Velocifero“ aufzunehmen. Das Highlight der langen Tour für das Album erreichten Ladytron als sie für das von Brian Eno kuratierte „Luminous Festival“ am Sydney Opera House als Headliner spielten.
„Als wir anfingen war Musik sehr polarisiert – entweder warst du Rock oder du warst Dance - es erschien revolutionär, und sogar Punk, Musik mit diesen Instrumenten zu machen“, sagt Wu.
„Manchmal denke ich ‚Was würde passieren wenn wir jetzt von vorn anfangen würden, in diesem Jahrzehnt? Inwiefern die Dinge anders wären.’ Es bleibt nicht viel übrig, wirklich.“
Außer natürlich, Ladytron’s fünftes Studioalbum, das im Sommer 2011 erscheint.