Im Jahre 2010 passiert es nicht selten, dass man im Radio Musik hört, in der leger Rhythmen aus Serbien und Kolumbien mit der Stimme von Oumo Sangeré und dem melodischen Stoss von Maori-Reggae fusioniert wird. Aber wenn es um die „Neue Welt-Musik“ geht, also das Fusionieren von DJ-Culture mit dem Underground-Sound der Welt – dann steht der Name Gotan Project für die Pionier-Arbeit das Traditionelle und das Folkloristische mit dem elektronischen Raum in Verbindung zu bringen. Ihrem Millionen-Seller „La Revancha Del Tango“ folgte das zweite Album, das Jazz beeinflusste „Lunático“ – und Gotan Project tourten um die Welt, um ihren „Neue Welt Musik“-Sound zum Besten zu geben.
Ich war schon immer ein Fan von Astor Piazzolla, den ich als 14-Jähriger beim Montreux Jazz Festival live erleben durfte. Seitdem bin ich vom Bandonéon als Instrument verführt, und war immer neugierig darauf, es außerhalb seines Traditions-Kontextes zu hören. Gotan Project haben mit der Verwendung des Bandonéons nicht nur einen einzigartigen und sehr einflussreichen Sound etabliert, sie bewahrten auch die Klasse und die Eleganz dieses Instruments. Hier sind Gotan Project nun, zehn Jahre später, mit ihrem bemerkenswerten dritten Album „Tango 3.0“, das, ohne den gleichen radikalen Pionier-Anspruch des Debüts zu haben, die Grund-Elemente dessen, was Gotan Project so wundervoll macht, neu definiert. Beats mit Understatement, subtile Stimmungen und Atmosphären, die tief verwurzelt sind in den Seitenstraßen von Buenos Aires und Paris, verbunden mit großartigen Stimmen wie Cristina Vilallonga auf „Peligro“ oder Melingo, der „Tu Misterio“ segnet.
Obwohl Gotan Project auf „Tango 3.0“ ihren Gründungs-Prinzipien treu bleiben, erweitern sie ihren Sound, u.a. mit Hilfe zahlreicher illustrer Gäste: Dr. John verleiht „Tango Square“ mit dem smoothen Klang seiner Hammond B3 einen Hauch des alten New Orléans. Das Werk des argentinischen Autors Julio Cortázar wird durch die Lektüre seines bahnbrechenden Romans „Rayuela“ im gleichnamigen Track gewürdigt. Auch Victor Hugo Morales, der legendäre argentinische Fußball-Kommentator, ist zu hören auf der ersten Single-Auskopplung von „Tango 3.0“ -„La Gloria“. Aus „GOOOOAL!“ wird bei ihm „GOOOOTAN!“.
Seitdem ich meine Sendung „Worldwide“ auf BBC ausstrahle, gab es nur eine handvoll Platten die einen derart großen Einfluss auf meine Hörer hatten. Neben Künstlern wie Cinematic Orchestra, Zero 7, Jill Scott und Mos Def, ragten Gotan Project mit ihrem außergewöhnlichen Sound heraus. Ich werde nie das phänonmenale Feedback vergessen, das ich auf den Erst-Airplay von Gotan-Songs wie „Tríptico“ und „Santa María (Del Buen Ayre)“ von „La Revanca Del Tango“ erhielt.
Auch ein Jahrzehnt später enthält „Tango 3.0“ alles, was ich von den Gotan Project-Machern Philippe Cohen-Solal, Eduardo Makaroff und Christoph Müller hören möchte. Vom zurückgelehnten Eröffnungs-Track des „Tango Square“ der aus den Lautsprechern fließt in einer Mischung aus New Orléans Trauer-Marsch und einem Boulvard-Walzer, zum Rockabilly gefärbten „De Hombre A Hombre“. Es ist sehr aufregend, dem gemächlichen, traditionellen Beginn des Albums zu lauschen und dann zu hören, wie die ganze Bandbreite klassischer Americana-Sounds und –Elemente behutsam in den Gotan-Melting-Pot eingeführt werden - mit raffinierten elektronischen Bearbeitungen und der allgegenwärtigen Verbeugung vor den Wurzeln von Sir Coxsone Dodd´s Studio One.