2007 war das Jahr, in dem die Schildkröte zum Hasen wurde und das Rennen für sich entschied. Vor dem Hintergrundrauschen von Musik-Freakshows im Fernsehen, deren Protagonisten kurz in den Klatschspalten aufblitzen, um dann wieder im Nichts zu verschwinden, und ruhmsüchtigen Billigpromis, die ihre Grinsegesichter in die Kameras der Paparazzi hielten, erschien die Alternative in Form von Puzzle, dem vierten Album von BIFFY CLYRO. Dieses katapultierte das Trio aus Ayrshire vom Underground mitten in den Fokus der Mainstream-Medien. Mehr als 250.000 Mal ging Puzzle über die Ladentische und erreichte Gold in UK. Sehr zur Freude der eingeschworenen Fans, die ihre Band bereits seit fast einer Dekade durch alle Höhen und Tiefen begleiten. Nein, dies ist keine Übernacht-Erfolgsstory. Dies ist das Ergebnis einer Band, die hart arbeitet und sich selbst treu bleibt.
BIFFY CLYRO fanden bereits 1995 zusammen, als sich Simon Neil (voc, guit) und die Zwillinge James (b, voc) und Ben Johnston (dr, voc) an der Schule etwas außerhalb von Glasgow trafen, um miteinander Musik zu machen. Vereint durch die unerschütterliche Liebe zum Rock-Underground, Experimental-Rock und Post-Hardcore, beeinflusst von Bands wie Karate und Braid auf der einen Seite und Guns N' Roses und Metallica auf der anderen, fanden sie überdurchschnittlich schnell zu ihrem eigenen Sound: aufwühlend ungerade Tempi, kratzende und unvorhersehbare Gitarrensätze, Vocals mit herrlichen Melodien und animalischen Schreien. Das alles wurde zu einem Klangteppich verwoben, der sich von allem anderen, was zu dieser Zeit En Vogue war, deutlich unterschied.
BIFFYs erste drei Alben, Blackended Sky, The Vertigo Of Bliss und Infinity Land erschienen im Abstand von ca. jeweils einem Jahr und zeigten eine nach vorn drängende Kreativität, die die Band auch ohne große Pausen auf die Bühne schickte, was ihnen eine stetig wachsende Fangemeinde bescherte. Puzzle wurde mit seinen komplexen Rockhymnen dann zum Durchbruch, und ehe sie es wirklich begriffen hatten, fanden sich Simon, James und Ben zusammen mit Muse im Wembley Stadion, auf der John Peel Stage beim Glastonbury-Festival und im Vorprogramm der Rolling Stones. Auf einer Little Noise-Session in der Londoner Union Chapel waren es U2, die als Vorgruppe für BIFFY einsprangen, obwohl der Heimgig im Glasgower SECC das persönliche Highlight für die Band war.
„Dort habe ich 1991 Metallica gesehen“, erinnert sich Simon. „Wir haben da im letzten Dezember gespielt, im selben Raum. Es ist unglaublich, wie sich die Dinge entwickelt haben.
Unglaublich, aber auch nicht überraschend, wenn man sich ihr neues Album Only Revolutions zur Brust nimmt. Es ist, kurz gesagt, ein Rock-Monster. Nach der überwältigenden Melancholie von Puzzle, das im Zuge des Todes von Simons Mutter entstand, überrascht Only Revolutions mit einem Gefühl von Freude und Entschlossenheit. Ausgedrückt zum Beispiel im militärischen Stampfen der Füße im Opener The Captain, der plötzlich in eine Explosion von Mammut-Riffs, Popvocals und euphorischen Bläsern ausbricht. Vom akustischen God And Satan, das Agonie und Ekstase hinterfragt, über das sexuell-sinistre Born On A Horse und das romantische aber auch leidenschaftliche Many Of Horror bis hin zum sperrigen Shock Shock ist Only Revolutions das packende Dokument einer Band, die sich kaum Grenzen setzt. Und natürlich gehören auch die bereits bekannten UK-Top-10-Hits Mountains und That Golden Rule dazu.
Simon erklärt: „Puzzle war schwer, traurig und von Depressionen gesteuert und referierte einen wirklich grausamen Teil des Lebens, den jeder einmal durchmachen wird. Das neue Album besitzt mehr Hoffnung. Ich denke, jede gute Musik und Kunst sollte eine Reflektion darüber sein, wie der Künstler sich an einem bestimmten Punkt im Leben fühlt.“
„Der Titel stammt aus einem Buch von Mark Danielewski, meinem Lieblingsautor“, fährt er fort. „In der ersten Hälfte des Buches erzählt der Mann seine Version der Geschichte, in der zweiten Hälfte legt das Mädchen ihre Version dar. Das hat mich wirklich berührt. Mit den Songs auf Only Revolution versuche ich praktisch, zwei Perspektiven auf dieselbe Geschichte auszudrücken. Es ist ein Geben und Nehmen, wenn Du jemanden liebst, aber beide sehen die Dinge auf vollkommen verschiedene Arten. Der Titel Only Revolutions fasst das perfekt zusammen.“
Das Album entstand mit Garth Richardson (Rage Against The Machine, Red Hot Chili Peppers) während des Sommers in LA. Und obwohl Garth und die Band einen schwierigen Start hatten, ist er inzwischen ein fester Bestandteil des BIFFY CLYRO-Sounds geworden. „Letztes Mal haben wir uns ziemlich gefetzt”, gesteht Simon ein. „Wir sind aufeinander losgegangen und haben versucht, einander die Gefühle auszureizen. Dieses Mal haben wir einander wesentlich mehr vertraut. Früher verstand Garth nicht, warum wir abgedrehte Sachen mit den Songs machen wollten. Aber das ist nun mal das, was wir tun. Und diesmal hat er es auf den Punkt gebracht. Es ist überwältigend.“
Garth ist nicht der einzige, der Only Revolutions seine Stempel aufdrückte. David Campbell, mehrfacher Grammy-Gewinner und Bassmann auf Marvin Gayes Let’s Get It On, der bereits mit Carole King, Bob Dylan, Metallica und Radiohead gearbeitet hat und für den Soundtrack von Brokeback Mountain einen Oscar einstecken konnte, fügte dem Album üppige Orchesterarrangements sowie Streicher- und Bläsersätze zu. Nach einer gemeinsamen Tour mit Queens Of The Stone Age schlossen BIFFY CLYRO außerdem Freundschaft mit Josh Homme. Und weil sie mit dem gleichgesinnten Frontmann der QOTSA unbedingt einmal zusammenarbeiten wollten, luden sie ihn ein, auf dem Song Bubbles mitzuspielen, einem groß angelegten, outgespacetem Epos, der gewaltig aus den Boxen drängt.
„Jemand wie Josh ist ein Lebenslänglicher der Musik“, so Simon. „Das gilt auch für uns, und ich glaube, wenn du Leute triffst, kannst Du ihnen an den Augen ansehen, ob sie es ernst meinen oder nicht. Es ist ein bisschen eigenartig mit einem Helden wie Josh befreundet zu sein, aber ich sehe in ihm, was ich auch in mir sehe, und er sieht in uns, was er in sich selbst sieht, diese bestimmte Form von Hunger und Bereitschaft, alles aus den richtigen Gründen zu tun. Deshalb ist es so leicht, mit Leuten wie ihm eine enge Verbindung einzugehen.“
Doch bei all der prominenten Unterstürzung, die BIFFY CLYRO erhalten, ist die Band noch immer dieselbe, die sie vor ihrem Major-Deal war. Sie proben immer noch in dem kleinen Farmhouse in der Nachbarschaft ihrer Kindheit, und wenn sie zusammen kommen, kann man immer davon ausgehen, dass sie das Unerwartete hervorbringen. Keines ihrer Alben klingt wie einer der Vorgänger, jedes von ihnen enthält neue Ideen und Richtungen. Und das macht Only Revolutions zu einem unzweifelhaften BIFFY CLYRO-Album. Es ist wieder irgendwie neuartig, handwerklich perfekt, produziert und poliert, ohne dass das Herz, die Seele oder die Andersartigkeit darunter gelitten hätte. Und das bedeutet jenen, die seit den Anfangstagen treu zur Band gehalten haben, sehr viel. Und am meisten bedeutet es für Simon Neil und James und Ben Johnston.
„Wir machen das füreinander,“ betont Simon. „Wir sind immer noch eine Gang, wie ganz am Anfang. Ich mache es für Ben und James genau so, wie sie es für mich machen. Ich halte das für wichtig. Manchmal kann der Erfolg einen Keil in eine Band treiben, aber da wir Freunde sind, seitdem wir acht Jahre alt sind, und gemeinsam Musik machen, seit wir 13 oder 14 sind, könnten wir das Leben kaum leben, wenn die anderen nicht daran teilhaben würden, und wir könnten nicht ohne diese Band leben. Das ist wirklich das, was mein Herz jeden Tag zum Schlagen bringt.“