WEBSITE: www.jjcale.com
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Rock'n'Roll ist ein gnadenloser Geschäft. Wir fressen die Jungen auf, schieben die Alten ab und wollen immer mehr von allem. In Würde zu altern und dabei immer noch von Relevanz zu sein, dürfte im Rock'n'Roll-Spiel die schwerste Übung sein. Aber JJ CALE gehört zu jenen, die es schaffen.
"Ich erinnere mich noch, als ich mein erstes Album aufnahm ("Naturally", 1972). Ich war damals 32 oder 33 Jahre alt und dachte damals schon, dass ich zu alt wäre.", lacht CALE. "Wenn ich mich sehe, dass ich das mit 70 Jahren immer noch mache, dann denk ich mir: Was tu ich hier? Ich sollte mich in eine Hängematte legen."
Für die meisten ist Musik ein Hobby, und wenn sie Glück haben, ein Job oder eine Leidenschaft. JJ CALE kann es sich nicht einmal aussuchen: Musik ist alles, was er je kannte. John Weldon Cale, geboren in Oklahoma City, Singer/Songwriter, Gitarrist, Multi-Instrumentalist, Produzent und Tontechniker, ist seit über 50 Jahren dabei und veröffentlicht nun sein 16. Album. Mit 12 Songs, darunter der bisher unveröffentlichte Titelsong "Roll On", den er mit Eric Clapton zusammen schrieb, offenbart "Roll On" das erste neue Solomaterial seit dem 2004er Album To Tulsa And Back und dem Multiplatin-Erfolg "The Road To Escondido" (2006), das eine Gemeinschaftsarbeit mit Eric Clapton darstellte und CALE immerhin seinen ersten Grammy® einbrachte.
Mit "Roll On" erspielt sich JJ CALE-Album neues Terrain. Einige Songs sind natürlich klassische JJ CALE-Originale und hätten auch vor 30 Jahren entstehen können, aber es gibt eine ganze Reihe Songs, die ihn auf einer Reise in eine ganz andere Richtung zeigen. Das Banjo-Picking und die Erdigkeit von "Strange Days" oder der Pedal Steel-Einsatz auf "Leaving In The Morning" klingen, als würden sie direkt aus den Naturally-Sessions stammen, und die mahlende Gitarre auf "Where The Sun Don't Shine" steht in bester Tradition von "Cocaine", während der Gypsy-Funk auf "Fonda-Lina" ein gelehrter Cousin von "Travelin' Light" sein könnte, das man vom 1976er Album "Troubadour" kennt.
Nun, wo sind also die Beweise dafür, dass CALE noch ein paar zusätzliche Asse im Ärmel hat? Zum Beispiel im Opener "Who Knew", der JJ CALE zum ersten Mal in seiner Laufbahn mit handfestem Jazz-Scat zeigt, und ein bisschen später erlebt man ihn Seite an Seite mit einem atmosphärischen Jazz-Piano auf "Former Me". Und woher kamen die Inspirationen dazu? "Wenn ich in der Badewanne singe, dann meist so eine Art Scat-Gesang," erzählt CALE. "Als ich "Who Knew" fertig hatte, musste ich darüber lachen und dachte: Hey das ist gut. Ich am Scatten, das ist witzig."
Die Aufnahmeprozedur verfolgte die selben Pfade, die JJ CALE während seiner ganzen Karriere ging. Erst erweckt er Songs aus früheren Sessions wieder zum Leben, dann schreibt er neue Songs und hat plötzlich mehr Material zusammen als Platz. Dann kürzt er alles zusammen, sodass nur die stärksten Songs übrig bleiben. Das geschieht meist spontan, ohne ein vorformuliertes Konzept oder eine Story. Drei der Songs von "Roll On" nahm CALE in den Natural Digital Recording Studios bei seinem alten Freund David Teagarden in Tulsa auf, den Rest (außer "Roll On") in seinem Homestudio, wo er das gesamte Material noch überarbeitet, um den magischen und klassischen JJ Cale-Sound einzupflegen.
Was aber wirklich bemerkenswert ist und oft übersehen wird, ist, dass CALE den größten Teil selbst und allein macht. Auf einigen der Songs, insbesondere jenen, die er in Tulsa aufnahm, sorgten seine alten "Cronies" für den Backgroundgesang, alles andere ist JJ CALE allein, der "ein bisschen an der Elektronik herumschraubt". Auf dem Album spielt er selbst die Gitarre, die Pedal Steel, Bass, Drums, Synthesizers, Lead-Vocals und die Backing-Vocals, und die Produktion übernimmt er ebenfalls selbst. Nach all den Jahren liebt er die Musik noch immer und kreiert leidenschaftlich zukünftige Klassiker, die er eines Tages in sein eigenes Kapitel des Great American Songbook einfügen wird.
CALE war ein "Do it youself"-Mann, lange bevor es diesen Begriff überhaupt gab. Er benutzte auch Drum-Maschinen lange bevor die Hip Hop-Producer sie zur Mode machten. Zu seiner langen Liste an Song-Credits und Album-Erfolgen gehört eigentlich auch noch eine Sektion über seine Pionierarbeit in Sachen Musikproduktion, die einen immensen Einfluss auf seinen Sound hat. In klassischer CALE-Manier ist es sein größter Stolz, als Tontechniker und Co-Produzent für The Road To Escondido verantwortlich zu sein, was ihm ja auch den Grammy® einbrachte. Das macht ihn fast stolzer als seine Arbeit als Künstler.
"Ich glaube, es liegt daran, dass ich schon immer ein Mixer und Techniker war", erklärt er. "Mit der heutigen Technologie kann man alles allein machen, und viele Leute machen das auch. Ich habe vor langer Zeit damit angefangen und stellte fest, dass ich meinen ganz eigenen Sound schuf."
Zum ersten Mal war das auf "Naturally" zu hören. "Auf dem Album spiele ich auch Piano und Bass, zum Beispiel auf "Cocaine". Auf "Crazy Mama" und "Call Me The Breeze" benutzte ich schon eine Drum-Maschine - und das war mein erstes Album, 1971. Das hatte ökonomische Gründe: Ich hatte einfach nicht genug Geld, eine Band zu engagieren. Und jetzt, wo ich es bezahlen könnte, habe ich immer noch Spaß dran. Es ist einfach eine Kunstform für sich."
All das - Drum Machines, Synthesizer, Alben aus dem Heimstudio, die One-Man-Band - all das erschafft CALEs fast altmodischen Veranda-Sound. Oft auch "Tulsa-Sound" genannt, verleiht es CALEs Musik einen betörenden Effekt. Die Boogie-Gitarre auf den flüchtigen, hypnotischen Vocals gibt dem Ganzen einen Schuss Blues, Country, Rockabilly und Jazz. Und auch, wenn die gängige Beschreibung für JJ CALE zumeist laid-back lautet, ist es erstaunlich, wieviel Arbeit vonnöten ist, um den Sound so entspannt hinzubekommen. Es gibt eine gewisse Dualität in JJ CALE. Er selbst bezeichnet sich "nur" als Gitarrist und Produzent, aber nichtsdestotrotz hat er in den letzten 40 Jahren einige der beständigsten Songs überhaupt geschrieben. Seine Songs sind einfach, handwerklich hervorragend gemacht und persönlich, aber damit er diese natürliche Ästhetik erreicht, bearbeitet er das Material obsessiv in seinem Studio und verwendet er jede erdenkliche Technologie, um seinen Sound zu schaffen. Er spricht übrigens genau so, geduldig, freundlich und sogar großzügig. Aber es umgibt ihn immer eine tiefere Mystik, die hinter seinem ausgeglichen Wesen glimmt. Er lehnt es ab, seine Erfolge etwas anderem als glücklicher Fügung zuzuschreiben und er offenbart sein Inneres nur fragmentarisch in seinen Songs. Falls man seine Stimme denn überhaupt aus dem Mix heraushört, aber das ist exakt die Art, wie er sie haben will.
"Ich tue das bewusst", sinniert CALE. "In den späteren Jahren habe ich den Gesang etwas deutlicher gemacht, vorher waren sie wirklich sehr dezent. Ich habe mich selbst nie für einen Sänger gehalten, sondern hauptsächlich für einen Songwriter. Und wenn mein Gesang mir auf die Nerven geht, nehme ich ihn halt etwas zurück."
Wenn man sich den großen Einfluss vor Augen führt, den JJ CALE mit seinem eigenen Musikstil ausübt, mutet es fast ironisch an, dass er es strikt ablehnt, Architekt für ein ganzes Sub-Genre genannt zu werden. "Eigentlich bin ich nur ein Gitarrist, der irgendwann begriff, dass er sich damit allein nie seine Mahlzeiten verdienen könnte. Also begann ich, Songs zu schreiben, weil das ein bisschen mehr einbringt."
Wie immer man ihn auch bezeichnet - Eric Clapton nennt ihn einfach nur "den Meister". Und es war Clapton, der für CALEs Karriere den Startschuss gab und ihn vor der Vergessenheit bewahrte. Denn als Clapton mit "After Midnight", ein Song, den CALE Mitte der Sechziger geschrieben hatte, 1970 seine ersten großen Solo-Sporen verdiente, änderte sich alles. "Ich hatte den ganzen Business-Rummel schon aufgegeben und war zurück nach Tulsa gegangen. Dort hatte ich einen Job und jamte mit ein paar Freunden", so CALE. "Und als Eric den Song in sein Repertoire aufnahm, da gingen reihenweise Türen auf und ich fuhr nach Nashville, wo "Naturally" dann entstand."
Damals begann der langsame aber sehr solide Aufstieg an die Spitze. Clapton widmete sich auch "Cocaine", "Travelin' Light" und "I'll Make Love To You Anytime", Lynyrd Skynyrd machten "Call Me The Breeze" berühmt und viele andere Musiker griffen auf JJ CALE-Originale zurück: Santana, The Allman Brothers, Johnny Cash, The Band, Chet Atkins, Freddie King, Maria Muldaur und Captain Beefheart, um nur die größten zu nennen. Selbst die jüngere Generation fand einen Weg zu CALEs Songs, etwa Widespread Heroes und moe., die in Jam-Sessions überlange Versionen von "Ride Me High", "Cajun Moon" und "Travelin' Light" spielten. Auch Neil Young. Mark Mark Knopfler und Bryan Ferry nennen CALE als starken Einfluss, und der Bundesstaat Oklahoma nominierte "After Midnight" als möglichen Official State Rock Song.
Leute wie CALE, Young, Clapton und Cash haben etwas kennengelernt, das die wenigsten von uns kennen: Sie kamen in unseren Kosmos und fanden einen Schalter in unserem Dasein; sie packten uns und gaben uns den Soundtrack zu unserem Leben. Trifft es CALE, dass Zeitgenossen und Kritiker ihn zur Legende abstempeln und viele der Musiker, die seine Songs lieben, nicht mal seinen Namen kennen?
"Nein, das trifft mich überhaupt nicht", lacht er. "Was sogar richtig gut ist, das ist, wenn Du einen Scheck in deiner Post findest."
CALEs Beständigkeit und sein ausgeprägter Sinn für Qualität ist eng mit seiner Zurückgezogenheit verbunden. Indem er sich aus dem Spinnennetz des Musikbusiness weitgehend heraus hielt, konnte sich seine Karriere stabil, ungebrochen und befriedigend für Künstler und Fans entwickeln. Er hat nie das Rampenlicht gesucht und er blieb immer fest geerdet. Das erlaubte ihm, sein Augenmerk auf das zu richten, was wirklich wichtig ist: Die Musik."
"Ruhm bläht dein Ego auf, bis du anfängst, deinen eigenen Bullshit zu glauben", so CALE. Also hab ich Audie (Ashworth - CALEs langjähriger Freund und Co-Producer) gesagt: Ich möchte die Einkünfte haben, aber der Ruhm ist mir egal. Wir haben also auf keinem Album ein Foto von mir platziert. Das war geplant. Ich bin kein wirklicher Einsiedler, aber es ging in die Richtung und es war eine gute Story für die Presse. Aber eigentlich stimmt es nicht."
Zwar deutet JJ CALE an, dass "Roll On" sein letztes Album sein könnte, aber er schiebt schnell hinterher, dass er ein wachsendes Bedürfnis hat, auf Tour zu gehen und für die ganz treuen Fans zu spielen. Und wenn es die Inspiration so will, ist auch noch ein Album drin. Es gibt keine Regeln, und mit 70 Jahren macht JJ CALE es immer noch. Und er macht es gut. Er schreibt seine Songs, spielt Gitarre, produziert, bastelt im Studio, kämpft mit Equipment, nimmt Instrumente auseinander und veröffentlicht Alben. Und wie das Album es verspricht: Er macht einfach weiter. "Roll On".
Tracklisting:
- Who Knew
- Former Me
- Where The Sun Don't Shine
- Down To Memphis
- Strange Days
- Cherry Street
- Fonda-Lina
- Leaving In The Morning
- Oh Mary
- Old Friend
- Roll On
- Bring Down The Curtain
(Quelle: Warner Music, 2009)
FORMAT: CD
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