Foto: Plattenfirma
Monday's Ghosts [Jazz]
WEBSITE: www.sophiehunger.com
Romantik ohne Pathos, Melancholie ohne Wehleidigkeit. Mit ihrer charismatischen Stimme lebt Sophie Hunger ihre Musik zwischen Folk und Soul mit jeder Faser ihres Körpers - darum kommt sie auch ganz ohne Effekthascherei aus. Nachdem Sophie Hunger Anfang des Jahres beim EuroSonic 2008-Festival im niederländischen Groningen vielen anderen Talenten die Schau gestohlen hatte, prophezeite ein Kritiker der renommierten französischen Tageszeitung Libération, daß sie “nicht lange das bestgehütete Geheimnis der Schweiz bleiben wird”. Und diese Prophezeiung scheint sich nun zu erfüllen. Denn mit ihrem kürzlich in der Schweiz veröffentlichen neuen Album “Monday’s Ghost” katapultierte sich Sophie Hunger gleich auf den ersten Rang der Popalbum-Charts hoch und ließ dabei gestandene Acts wie Bushido, die Söhne Mannheims und Metallica im Windschatten liegen.
Das Verblüffende daran ist, dass Sophie dieses Kunststück nicht etwa mit am Reißbrett entworfenen Format-Pop vollbrachte, sondern mit eigenwilligen, manchmal fast schon widerborstig zu nennenden Nummern, die stilistisch zwischen folkiger Singer/ Songwriter-Tradition, atmosphärischem Jazz, Indie-Pop und balladeskem Soul mäandern.
Sophie Hungers musikalischer Werdegang liest sich wie ein modernes Märchen. Noch vor zwei Jahren war die 1983 geborene Schweizerin selbst in ihrer Heimat ein vollkommen unbeschriebenes Blatt. Dann veröffentlichte sie ihr in Eigenregie produziertes Debütalbum “Sketches On Sea” und verkaufte davon, ohne die Promotionmaschine einer großen Schallplattenfirma im Rücken zu haben, nach und nach einige Tausend Exemplare. Doch nicht nur beim Schweizer Publikum weckte die Nachwuchskünstlerin mit ihrer nonkonformen Musik Interesse: schon bald erhielt sie von namhaften Kollegen wie dem Jazz-Trompeters Erik Truffaz, der Industrial-Band The Young Gods und dem Rock-Chansonnier Stephan Eicher (der auf “Monday’s Ghost” einen Gastauftritt hat) Einladungen, die Bühne mit ihnen zu teilen.
Doch zurück zu den Anfängen. Als Tochter eines Diplomaten und einer Politikerin kam Emilie Jeanne-Sophie Welti Hunger am 31. März 1983 in Bern zur Welt, verbrachte einen guten Teil ihrer Kindheit aber in London, Teheran und Bonn. Mit neun Jahren erhielten die Diplomatentochter für kurze Zeit Klavierstunden, die aber keine besonderen Früchte trugen und schon bald wieder drangegeben wurden. Zur Musik fand sie erst mit 19 Jahren wieder zurück. Nachdem sie in Zürich ihre Matur (ihr Abitur) bestanden hatte, stieg sie als Sängerin bei der Band Fisher ein, die Indie-Rock mit souligem Einschlag spielte. Freilich ohne großen Erfolg. Richtig wachgeküßt wurde Sophie von der Muse mit 23 Jahren, als sie ihren ersten eigenen Song komponierte. So unglaublich es klingt, aber schon ein paar Monate später hatte die frischgebackene Songschreiberin genügend selbstverfaßtes Material beisammen, um in den eigenen vier Wänden binnen weniger Tage ihr charmant ungeschliffen klingendes erstes Album aufzunehmen: “Sketches On Sea”. Das Album gab einen Einblick in Sophies musikalische Welt: eine Welt ohne stilistische Grenzen, bevölkert von so unterschiedlichen Musikern wie einem Jazzposaunisten und einem Flamenco-Gitarristen. Dann nahmen drei kompetente Leute - der Radiomoderator Gérard Sutter (eine Art John Peel des französischsprachigen Teils der Schweiz), Patrick David (Manager der Young Gods) und Christian Fighera (der Betreiber des Labels Gentlemen Records) - Sophie Hunger unter ihre Fittiche. Nicht etwa, um die Ecken und Kanten in ihrer Musik abzuschleifen, sondern um dem hoffnungsvollen Talent gemeinsam den Weg zu ihrem zweiten Album “Monday’s Ghost” zu ebnen und neue Horizonte zu eröffnen.
“Ich verstehe nicht viel von Musik”, offenbarte Sophie Hunger vor kurzem kokett einer Journalistin des Schweizer Tagblatts. “Ich kann kaum Gitarre spielen. Gleiches gilt für mein Pianospiel - und das Singen habe ich nie erlernt.” Dieser Unbedarftheit ist es wohl auch zu verdanken, daß “Monday’s Ghost”, obwohl Sophie für die neuen Aufnahmen in ein richtiges Tonstudio gehen konnte, immer noch etwas von der Ungeschliffenheit und Direktheit von “Sketches On Sea” hat.
Entstanden ist “Monday’s Ghost” innerhalb von zwei Wochen im Studio du Flon in Lausanne sowie im Brüsseler ICP-Studio, und die Produktion lag diesmal in den Händen von Marcello Giuliani, der bereits mit Größen wie Étienne Daho, Jane Birkin, Henri Salvador und Erik Truffaz zusammenarbeitete. Begleiten ließ sich Sophie nicht von einer ad hoc zusammenwürfelten Studioband, sondern von den Musikern, die derzeit ihr festes Ensemble bilden. “Mit Leuten, die ich nicht kenne, könnte ich weder eine Bühne betreten noch in ein Aufnahmestudio gehen”, gesteht Sophie. “Um meine Musik zu machen, brauche ich Leute, die mir vertrauen. Die Musiker, die mich auf diesem Album begleiten, treten auch immer mit mir auf: Christian Prader als Flötist, Gitarrist und Pianist, Michael Flury als Posaunist und Marcello Giuliani als Bassist.” Schlagzeuger Julian Sartorioz und Bassist Balz Bachmann komplettieren die Band mittlerweile. Für die Umsetzung von Sophies musikalischen Vorstellungen sind diese Musiker mit ihren Arrangierfähigkeiten unersetzlich. Die junge Schweizerin selbst spielt auf dem Album Piano und Gitarre.
Die Songs von “Monday’s Ghost” erzählen keine Geschichten im herkömmlichen Sinne, sondern reflektieren Impressionen, die jeder Hörer mit eigenen Erlebnissen und Eindrücken in Bezug setzen kann. So drehen sich beispielsweise die Songs “Shape”, “Drain Pipes” und “Teenage Spirit” allesamt um die Idee von Form und Inhalt. “Mich fasziniert der Impuls, der uns alle antreibt. Ob man nun Einfamilienhäuser oder Apartmentblöcke baut oder mit Worten Sätze bildet, es läuft immer auf dasselbe heraus: ein Vakuum zu füllen oder sich selbst aus einem gigantischen inneren Chaos zu lösen. Wenn man sich daran macht, einen Song zu schreiben, geht man auch so vor: man hat einen leeren Raum oder eine formlose Masse von Ideen, Emotionen und Worten. Und daraus erschafft man einen Song. Das ist faszinierend.”
Mit demselben Scharfsinn betrachtet Sophie Hunger sich selbst und alles, was sie umgibt. Dabei schreckt sie auch nicht vor den Tiefen eher schwindelerregender Fragen zurück (zu “Rise And Fall” inspirierte sie eine von dem alemannischen Mundartdichter Johann Peter Hebel - 1760-1826 - geschriebene Kurzgeschichte) oder vor Konfrontationen mit Erinnerungen, die bitter sein mögen... Gerade wenn ein Künstler der Realität ins Auge blickt, erreicht er sein Ziel. Auf diese Weise entstanden zum Beispiel die Lieder “Beauty Above All” und “The Tourist” (die beiden Nummern, die für “Monday’s Ghost” noch einmal gründlich überarbeitet wurden, erschienen schon auf “Sketches On Sea”), aber auch “Birthday”. In einem Stück mit dem brisanten Titel “The Boat Is Full” nimmt Sophie ihre Heimat Schweiz kritisch unter die Lupe: “Die Phrase ‘Das Boot ist voll’ wurde von einem der Führer der Schweizer Ultranationalisten verwendet, um die Schließung der Grenzen für Immigranten zu rechtfertigen”, erläutert Sophie Hunger. “Nun, wenn es eine Sache gibt, durch die ich mich mit der Schweiz heute verbunden fühle, dann ist es mein Wille, mich nicht mit dem gegenwärtigen politischen Klima abzufinden. Ich lehne diese Engstirnigkeit, diesen Mangel an Offenheit gegenüber anderen und dem Rest der Welt vollkommen ab. Aber gleichzeitig fühle ich mich auch verantwortlich für mein Land und mein Volk. Ansonsten hätte ich ein solches Lied nicht geschrieben.”
Was Sophie Hunger aus dem anschwellenden Meer der zeitgenössischen Songschreiberinnen hervorhebt, ist zum Beispiel die Kombination von Integrität und Reife, die sie auf “Monday’s Ghost” beweist. Deshalb greifen Vergleiche mit vielen anderen Repräsentantinnen dieses heteromorphen Genres auch ins Leere: Sophie Hunger ist keine neue Norah Jones und will es auch gar nicht sein. Eine musikalisch-geistige Verwandtschaft besteht da schon sehr viel eher zur Kanadierin Leslie Feist, deren phänomenalen Erfolg bei Kritik und Publikum man auch nur schwer erklären kann. Sophie Hunger hat ihre eigene Nische gefunden und trifft mit ihrer Musik, wie bejubelte Konzerte in England und Frankreich schon zeigten, offenbar nicht nur den Nerv ihrer Schweizer Hörer/innen.
Musiker:
Sophie Hunger - vocals, guitars & piano / Marcello Giuliani - guitars, e-bow & basses / Michael Flury - trombone / Christian Prader - flutes, acoustic guitar, harmonica, piano / Alberto Malo - drums & percussion / Evelinn Trouble - vocals (2) / John Dickinson - vibraphone (4 & 10) / Benoît Corboz - Hammond B-3 organ (9) & additional piano (10) / Frank Heer - cello (10) / Patrik Schmid - drums (13)
Tracklisting:
1. Shape
2. Round And Round
3. The Tourist
4. Birth-Day
5. Monday's Ghost
6. House of Gods
7. Teenage Spirit
8. The Boat Is Full
9. Rise And Fall
10. Walzer Für Niemand
11. Beauty Above All
12. A Protest Song
13. Drainpipes
(Quelle: Beatsinternational, 9.1.2009)
FORMAT: CD
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