Foto: Manuel Debus
Everything About [Pop]
LABEL: EMI
WEBSITE: www.wagner-love.de
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Wagner Love. Ein Bandname, der irritiert und zu den verwegensten Interpretationen verleitet. Das Love scheint dabei eindeutig. Wagner Love-Songs sind Songs über die Liebe in all ihren Facetten. Körperliche Anziehungskraft, geistige Verbundenheit, Gewinnen und Verlieren. Es geht ums Davonlaufen, ums wieder Ankommen, sich neu einlassen: „It’s a long, long road to love...“. Lust und Leidenschaft, die Suche nach der großen Liebe. Larmoyanz gehört dazu, auch Schmerz und Scheitern.
Der Wagner gibt mehr Rätsel auf. Ist es Richard Wagner, der große Romantiker, oder – wie Witzbolde vermuten – doch die Liebe der Musiker zu Pizza aus dem Steinofen, der hier eine Referenz erwiesen wird? Beides kann man getrost streichen. Ein dunkelhäutiger brasilianischer Fußballspieler namens Vágner Love, der für ZSKA Moskau spielt und für geballte brasilianische Offensivkraft steht, ist Namenspate für die Band.
Im Spätsommer 2003 trafen sich Jacob Vetter (Gesang, Gitarre), die Brüder Ravel (Keyboards) und Marcel Meeth (Schlagzeug) sowie Tilmann Köllner (Bass), um zunächst als Rotariklub in den Frankfurter Clubs erste Erfolge zu feiern und Lästermäulern, die glaubten, bei den vier jungen Männern handele es sich um eine Boygroup, zu beweisen, dass sie eher der Musik eines Cody Chesnutt oder Lenny Kravitz nahe kamen. Als Wagner Love firmieren sie bei myspace unter Pop / Soul / Club, bringen aber auch den Begriff Disco ins Spiel, ein Stil, der Ende der Siebziger seine Blütezeit erlebte und in Deutschland mit Giorgio Moroder, Silver Convention, Donna Summer und Boney M. auch seltsame Blüten trieb. Heute, mehr als dreißig Jahre später, sind die Hits von damals wieder hip und spätestens 2000 erlebte Disco ein echtes Revival – nicht nur dank der Pet Shop Boys und Madonna: The Return of the Spiegelkugel.
„Sich in Deutschland zu tanzbarer Popmusik zu bekennen, war bisher eher peinlich“, sagen die Wagner Love-Musiker. Für sie ist der Begriff Disco aber schon lange wieder hoffähig. Es geht ihnen um Tanzbarkeit, einen kräftigen Bass und markante Beats als Fundament. Aber bevor die Band die Songs ausarbeitet und der typische Wagner Love-Sound entsteht, geht es um klassisches Songwriting, das Gespür für griffige Akkordfolgen und klare Strukturen, die sich selbst mit einer akustischen Gitarre oder einem Klavier ganz pur vermitteln ließen. Da sind wir beim Pop. Wenn Jacob mit seiner heute schon viel zitierten, unverwechselbaren Stimme dazu singt, wird das Ganze automatisch beseelt und wir können von Soul reden. Wenn die Band dazu groovt, nähern wir uns dem Funk. Oder um es anders auszudrücken: Wenn Wagner Love die verschiedensten Stile der Musikgeschichte aufgreift, die die vier Musiker in ihrer doch sehr unterschiedlichen musikalischen Sozialisation geprägt haben, dann könnte man den Vater Pop und die Mutter Soul nennen, die ihren zahlreichen Kindern Namen wie R&B, Rock und Dance gegeben haben.
Auf alle Fälle sind Wagner Love eine Art Gegenentwurf zum zur Zeit die deutsche Musikszene beherrschenden Geschmacks-Mainstream und sie wollen weder bei den deutsch singenden Soul-Pop-Stars noch bei der Schrammel-Pop-Fraktion mitmischen. Auch um das vielen so wichtige Sendungsbewusstsein geht es ihnen nicht. Bei ihnen steht die Musik im Vordergrund und der Fokus liegt nicht auf Jacob als Geschichtenerzähler, für dessen Erlebnisse die Musik dann nur untergeordnetes Transportmittel wäre und die Instrumentalisten zu Begleitern degradiert würden. Bei Wagner Love ist die Band der Star. Stil und Eleganz sind Begriffe, die im Zusammenhang mit ihrer Musik fallen können, aber sie sind keine Verpflichtung für die Musiker, sich in Dandyanzügen oder glamourös ausgestattet auf die Bühne zu stellen. Das wäre ihnen sicherlich zu „cheesy“, genauso wie „Ich liebe Dich“ statt „I love you“ zu singen. Denn vieles klingt auf Englisch eben immer noch besser als auf Deutsch. Und für Jacob, der längere Zeit in Washington lebte, ist die Sprache alles andere als fremd, eher vertraut und nah.
Ein Song wie „You Are All I Need“ klingt vom Titel her wie der ultimative Lovesong, ist aber keine Liebeserklärung an eine Frau, sondern – was unterstreicht, dass Wagner Love voll bei der Sache sind – an die Musik und welche Rolle sie im Leben der Musiker spielt. „Everybody Runs“ bringt Jacobs Gefühle auf den Punkt, als eine erste kleine Veröffentlichung anstand und er ins Träumen geriet, was mit der Band denn alles noch passieren könne. Da passt „Bigger Than You“ ins Bild, dessen Text auf dem Gefühl basiert, dass etwas im eigenen Leben größer ist als man selbst und dass aus der Gruppe etwas Besonderes entstehen kann, das dem Individuum nicht gelungen wäre. Der Song beinhaltet aber auch etwas Kritik an Dritten: „I won't let no one judge if I'm a star enough". Ohne Selbstbewusstsein hat man keine Chance. „Believe“ ist die Weltschmerznummer im Programm, in der aber dennoch Hoffnung durchscheint. Und „I Know“ formuliert das Gefühl, die Frau könne die richtige sein, aber warum spielt man Spielchen und kommt nicht auf den Punkt?
Kein angesagter US-Producer oder Big Name von der Insel musste her, um dem Albumdebüt „Everything About...“ dadurch besondere Aufmerksamkeit zu bescheren. Mit Roland Spremberg fand man in Deutschland den richtigen Mann, der einen spielerischen Umgang mit dem handgemachten Sound der Vier im Studio fand, ein wenig mit Patina-versehenen Samples aus der Geschichte der Popmusik arbeitete, aber vor allem eines dabei unterstützte: Dass der Sound der Band organisch blieb und ganz persönliches Profil bekam. Denn aufgesetzte Hipness ist leicht durchschaubarer, dann lieber versuchen, einen eigenen Trend zu setzen, die Einflüsse der wichtigsten Musikepochen der Popmusik, der 60’s, 70’s und 80’s auf eigene wie eigenwillige Weise zu kombinieren und sich so unverwechselbar zu machen. Oder kennen sie eine andere Band in Deutschland, mit der sich Wagner Love vergleichen ließe?
(Quelle: EMI, 22.9.2008) FORMAT: CD
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