Cross Symbol [Pop]
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Keiner kann sagen, er hätte nicht bemerkt, wie es passiert ist. Denn immerhin revolutionierten JUSTICE die Dance-Szene mit einem hochgradig innovativen Dance-Tune: Never Be Alone, das die Clubber in hedonistische Höhenflüge schickt und das aufregendste Elektro-Ding seit Daft Punk wurde. Dann rief die Welt, oder zumindest der Teil der Welt, der ohne zu tanzen nicht leben mag, nach mehr. Genauer gesagt: nach einem Album. Und hier ist es: «†», ein packendes und eigenwilliges Stück Elektro, das ungehörte Dinge auf den Punkt bringt und in den nächsten Monaten einiges bewegen wird.
Gaspard Augé (The Moustache) und Xavier de Rosnay (The China) aus Paris dürften das derzeit gehypteste und gefeiertste Team 2007 sein. Das führende Dance Mag in UK, „Mixmag“, feiert den aktuellen Track D.A.N.C.E. als Tune of the month und schreibt ihnen die besten Chancen auf die Daft Punk’sche Krone zu. Bei den MTV Europe Video Music Awards 2006 schnappten sie Kanye West einen Preis vor der Nase weg (was einen kleinen Skandal auslöste, da der Mann damit nicht klar kam), und Credits gabs schon von den ganz Großen wie Erol Alkan, Miss Kittin, Daft Punk, DJ Hell, Tiefschwarz, James Holden und anderen ähnlichen Kalibers. Mittlerweile wurde D.A.N.C.E. zudem von Top-Remixern wie Alan Braxe und Crossover-Hero MSTRKRFT remixt. Dazu werden und wurden Tracks wie Waters Of Nazareth und Phantom in Clubs und Radio bereits satt gefeatured, und es sollte mit dem Teufel zugehen, wenn sie den Elektro-Thron Daftpunks nicht bald schwerstens zum Wackeln bringen. Zumal JUSTICEs Live-Performance nicht weniger outstanding ist und mehr Feuer aufbringt als alle sonstigen Elektro-Acts zusammen - wie jüngst auf dem renommierten Coachella-Festival in Kalifornien zu sehen, wo sie im Kreise der Red Hot Chili Peppers, Coco Rosie, Gotan Project, LCD Soundsystem u.v.a. das Publikum aufmischten, das wie immer aus mehreren zehntausend Festivalbesuchern bestand.
Aber wer steckt hinter JUSTICE?
Xavier und Gaspard wuchsen in den Vorstädten von Paris auf und trafen sich vor ca. drei Jahren. Xavier studierte Graphik-Design und spielte Bass und Gitarre in einer Discoband und Flyer-Designer Gaspard trieb sich als Drummer in verschiedenen Rockbands herum. Es sollte nur einen Monat dauern, und sie stellten mit Hilfe einer Groove-Box und einem Sampler spontan zwei Tracks auf die Beine, von denen der eine, eine Buggles-Hommage, auf einer obskuren Compilation verschwand und der andere, unter Verwendung eines Simian-Samples, an die Ohren an Pedro Winter gelangte. Der wiederum ist einerseits Manager von Daft Punk und andererseits Boss des Labels Ed Banger Records – mit anderen Worten: ein wirklich bedeutender Mann in der French Touch-Szene.
Pedro suchte gerade nach einer B-Seite für das zweite Release von Ed Banger, einem Château Flight-Remix von DJ Mehdi. Und dann passierte das Unglaubliche – die Testpressungen gingen raus und die Single wurde ein mittlerer Clubhit – aber nicht die A-Seite, sondern JUSTICEs Never Be Alone, das somit von der B- zur A-Seite wurde und einen ungeahnten Aufstieg vollbrachte!
Niemand geringeres als Gigolo, das Label von DJ Hell, signte das gute Stück und sorgte dafür, dass Never Be Alone sich 50.000 Mal verkaufte und drei Jahre lang zum Dancefloor-Smasher in UK wurde. In der Folge tanzten sich die Clubgänger nicht nur die Beine rund, sondern bei JUSTICE flatterten die planetenweiten DJ-Engagements und hochkarätigen Remix-Aufträge stapelweise rein: Britney Spears, Franz Ferdinand, Soulwax, Scenario Rock, NERD und viele mehr mochten nicht auf den ultimativen JUSTICE-Remix verzichten, der sich durch feinfühligen Umgang mit dem Original auszeichnete. JUSTICE wurden zu einem Markenzeichen.
Aber zurück ins Jahr 2005. Anstatt den bisherigen Erfolg gründlich auszuschlachten und Never Be Alone Mark II abzuliefern, vollbrachten sie den Radikalschwenk und warfen Waters Of Nazareth in die Clubs. Wo Never Be Alone leuchtete und voller fröhlichem Pop-Vibe steckt, zeigten sich JUSTICE mit Waters Of Nazareth unerwartet düster, rau und nervenzerfetzend – eine fast unschuldige Freude an brutaler Rohheit, die der Elektroszene frischen Wind verpasste.
Schließlich zogen sich Gaspard und Xavier in einen stillgelegten Atombunker zurück, den sie nur verließen, um am Wochenende die Gehörgänge der Clubgänger zu zerschmettern, und arbeiteten an einem ganzen Album. Das Ergebnis toppte alle Erwartungen und heißt: «†» (sprich: Cross, Kreuz – wie immer es beliebt).
«†» - das sind 12 Tracks, die alles, was man über Elektro weiß, über Bord kippen. Es beginnt mit dem opulenten Genesis, dem Track zur Erschaffung der Welt mit überzeugendem Barockflair, der gleich klar stellt, dass hier Ungewöhnliches kommt. Etwa Let There Be Light, das mit einem aufwühlend kaputten Orgelsound eine extrem treibende Bassline herbeiruft, die sich in bester Elektromanier unaufhaltsam voranschiebt. Gefolgt von D.A.N.C.E. einem Jetzt-Schon-Hit, der mit House kokettiert und das Chaos mit einem unschuldig jubilierendem Kinderchor feiert.
Keine Frage JUSTICE besitzen reichlich Sinn für Humor, der einem wohlige Schauer über den Rücken jagt – siehe auch New Jack, eine funkige Parodie auf die überbordenen Zeiten des French Touch.
Phantom I macht da weiter, wo Waters Of Nazareth innehält: Wieder sind es die kompromisslosen Basslines, die bis an die Kante komprimierten Sounds und plötzlich auftretenden Disco-Violinen – dazwischen jede Menge anregender Elektro-Lärm, der völlig neue Soundperspektiven eröffnet. Phantom Pt II lässt aus dem Track dann einen echten Hit werden. Mit Valentine bieten JUSTICE einen Kinderreim voller erotischer Melancholie (oder melancholischer Erotik?) – ein Tribut an Filmkomponist Vladimir Cosma – und The Party kommt als purer Elekrto-Funk daher. Und so geht es dann weiter: DVNO als Lehrstunde für die gelungene Fusion von Rock und Elektro (mit Vocals!) und Stress, ein hektischer Abgeher, der selbst die Chemical Brothers noch neidisch machen könnte. Als Gegenstück zu Genesis beschließt One Minute To Midnight das Album mit weit ausholender Geste.
JUSTICE werfen die etablierten Regeln des Elektro kurzerhand über Bord – das können sie sich als Kinder des vielzitierten French Touch auch erlauben – Guter oder schlechter Geschmack, der schmale Grat zwischen Pop und Underground, die erbsenzählerische Kategorisierung von Rock und Elektro – all das interessiert JUSTICE nicht. Sie haben einen untrüglichen Sinn für das Verschmelzen und Ineinanderblenden von Einflüssen und geben sich dabei radikal offen: Sei es die Cosmic Disco von Larry Levan und die Romantik von Vladimir Cosma, alter Progrock von Camel. Der blitzende Funk der Brothers Johnson oder ABC und Jackson 5 – bei JUSTICE bekommt all das ganz persönliche und unverwechselbare Züge. Und die Kraft, mit der sie das vertreten und unterschiedlichste Assoziationen hervorrufen verdient Respekt.
So gesehen ist es kein Wunder, dass das Debüt von JUSTICE, «†», ein Genuss für die Ohren und eine Einladung für die Beine ist. Eine Art Elektro-Oper, die mit religiösen und barocken Symbolen geschmückt ist, in der die Melodien durch die Beats geschreddert werden, der Elektro dem Rock eine Lehrstunde verschreibt und Pop eine Ladung Botox verpasst bekommt. Bisher hat in der Geschichte des französischen Elektro jedenfalls selten ein Album die gestellten Erwartungen so massiv übertroffen.
Das größte an diesem Great JUSTICE-Swindle ist, dass sie nicht nur auf Anhieb einen wieder erkennbaren Sound kreiert, sondern auch erfolgreich die Fußfallen des ersten Albums umgangen haben. «†» ist alles andere als eine Sammlung an zufälligen Dancefloor-Singles, und es häuft nicht 12 Versionen von Waters Of Nazareth aufeinander. «†» ist, was niemand erwartet hätte. «†» ist ein Album mit Bauteilen, auf dem ein Track in den nächsten führt, etwa wenn der Bass von D.A.N.C.E. in Phantom II wieder aufgenommen und demontiert wird. «†» kann man zuhause und im Club hören. «†» ist ein Bindeglied zwischen Pop in seiner reinsten Form und experimenteller Musik. «†» bringt Hardcore und Cheese zusammen. «†» schafft die Verbindung von Goth und den Fluo Kids. So sei es.
(Quelle: Warner Music) FORMAT: CD
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