Nur wer eine Herausforderung annimmt, kann sich mit etwas Glück und Geschick später über einen Sieg freuen. Das muss kein Sieg auf ganzer Linie sein. Oft sind es ja auch gerade die kleinen Triumphe im Leben, die wirklich zählen. Nicht der Sieg an sich, sondern das erhabene Gefühl, es geschafft zu haben. Bei den Aufnahmen zu ihrem vierten Album haben sich MADSEN einer besonderen Herausforderung gestellt. Und das Ergebnis, “Labyrinth”, lässt keinen Zweifel an ihrem Glück und Geschick...
Die “klassische Herausforderung” - das landläufig als schwierige angesehene, dritte Album - konnten MADSEN bereits 2008 mit “Frieden im Krieg” bravourös krachend meistern. Das war kein Problem. Also wollten die Vier diesmal mehr. Die Idee lässt sich eigentlich in einem Wort zusammenfassen. Doch selbst Sebastian Madsen wagt es zunächst nicht, dieses Wort so einfach auszusprechen. Wir versehen es hier mal in aller Bescheidenheit mit dem entsprechen Satzzeichen: Es handelt sich um... Größe?
Das Gefühl von Größe wie es in einem Stadion allgegenwärtig ist. Diese Größe von bewegten Chören. Größe im Klang, ohne dabei Fett anzusetzen. Große Gitarren. Große Worte. Große Produktion. Die Größe einer eingeschworenen Gemeinschaft. Größe in jeder Beziehung. Aber vor allem das Größte, was das Leben zu bieten hat: das Leben selbst, die Liebe und eine universelle Umarmung. Das ganze Zeug also, das in den falschen Händen zu monumentalen Kitsch verkommt. Mit so etwas zu arbeiten, jegliche Peinlichkeit zu vermeiden und bei allem notwendigen /gerechten Pathos an keiner Stelle das Maß zu verlieren, DAS ist eine Herausforderung!
Wie man an seinen Herausforderungen wächst und dabei über sich hinauswächst, das zeigt kein deutsches Album der letzten Jahre deutlicher als “Labyrinth”. Ein Album, so groß wie das Verlangen, die Welt aus den Angeln zu heben. Die Magie dieses Unterfangens mag auch damit zusammenhängen, dass wir beim Namen MADSEN weniger an Stadion-Rock als an schwitzige Keller und durchgebrutze Verstärker denken. Für Thees Ullmann z. B., Tomte-Mastermind und so etwas wie ein moderner Torwächter der Indie-Coolness, war ihr Debüt das beste Album, seit er über Musik schreibt.
Das ist bezeichnend. Obwohl MADSEN seit Stunde Null bei Universal unter Vertrag stehen, vermittelt ihre Musik und ihr Auftreten eine Authentizität, die für gewöhnlich einem Indieact, gern aus der Hamburger Schule, angedichtet wird. Wo der Indie-Spirit regiert, herrscht auch oft ein Hang zum Problematisieren. Die alles entscheidende Frage lautet dann: Darf man das? Spass haben? Auch mal die Sonnenseiten des Lebens besingen? Hemmungslos auf die Tonne hauen? Darf man natürlich nicht. MADSEN haben sich einfach das Recht genommen, es trotzdem zu tun. Vor diesem Hintergrund wird “Labyrinth” nicht nur vom Mut zur Größe bestimmt, sondern auch von einer Art der Befreiung.
Sezieren wir exemplarisch den Titelsong, der das vierte MADSEN-Album programmatisch eröffnet, präsentieren sich bereits alle wichtigen Motive des Albums. Zunächst thematisiert sich hier die Fortführung dessen, was auch Amerikaner als Teenage-Angst kennen: ein Gefühl von zeitloser Orientierungslosigkeit und verwirrter Panik. Letzte Tanke vor dem Erwachsenenwerden sozusagen. Wir hören Radiogeräusche, dazu die Worte: “Das ist die Welt, das ist kein Traum, das ist die Realität. Das ist das Leben, öffne die Augen, du solltest sehen, worum es eigentlich geht.” Aber das ist eben nur der Anfang. Kaum sind die letzten Worte des Refrains verklungen - “... ein Kind, das viel zu leise nach Freiheit schreit” - gibt es einen Break, der Geschichte schreibt. Schweinegitarre, Trommelwirbel und weiter geht es im Takt einer durchzechten Nacht. Mit dem nächsten Break verdreht sich der Song kurzzeitig zu einem leicht hysterischen Glam-Prog-Monster, das “Raus! Raus! Raus! Raus! Raus! Raus!” skandiert, bevor es noch mal mit etwas mehr Effet weitergeht und Sebastian glaubhaft versichert: “Du kannst fliegen, wenn Du willst. Du kannst fliegen, du kannst fliegen - über dein Labyrinth.” Dazu gibt es in einem emotionalen Showdown noch mal die tröstliche Kernbotschaft: “Was auch immer geschieht, da ist immer irgendjemand, der dich liebt.”
Inzwischen ist nicht mehr Zeit vergangen als ein paar Minuten, auch wenn der Stoff für epische Spielfilme reichen würde. Genau so soll es auch weitergehen. Das Kleine reibt sich am Grossen, das Private kollidiert mit dem Öffentlichen, die Lust kämpft mit der Überzeugung, und dazu gibt es auch immer wieder etwas von dem, was die amerikanischen Rasta-Punks Bad Brains mal auf die Formel “I against I” gebracht haben. Da überrascht ein Song wie “Mein Herz bleibt hier”, scheinbar einer unglücklichen Liebe gewidmet, im Refrain mit eher klassenkämpferischen Einsichten wie "Auf den billigen Plätzen sind die netteren Leute, auf den kleinen Hochzeiten gibt's die schöneren Bräute, ich schlafe lieber im Zelt als im teuren Hotel, die schönsten Dinge der Welt bekommt man ohne Geld!"
In einem anderen, besonders energischem Song mit dem bezeichnenden Titel “Blockade” bringt Sebastian das Dilemma auf den Punkt: Auf der anderen Strassenseite spielen sie Hacky-Sack aber er will nicht mitspielen. Und wenn dort die Sonne scheint, bleibt er lieber im Schatten. Da gibt es “richtig geile Second Hand Shops”. Aber so sehr er es auch will, er kann einfach nicht rübergehen - zwischen ihm und der anderen Strassenseite “liegen 1000 Kilometer”. Die besondere Qualität von “Labyrinth” ist es, bei allem Willen zur Grösse und Hang zum Tröstlichen genau diese Gefühle nicht zu verraten.
Am Ende heißt es im letzten Song auch nicht “wir werden Sieger sein” sondern “wir werden wie Sieger sein” - weil es eben unabhängig vom Ausgang manchmal einfach nur darum geht, es gemeinsam getan zu haben. MADSEN haben es getan, gemeinsam mit ihrem Produzenten O.l.a.f. O.p.a.l. haben sie das Album mit dieser komischen Idee von “Größe” realisiert, es hat sie zwei Jahre gekostet - “vielleicht die beste Zeit in unserem Leben” wie sie in einem anderen Song singen. Für viele ist “Labyrinth” ein grandioser Sieg ohne Wenn und Aber, das beste Album der bisherigen Karriere der Band. Für MADSEN selbst ist “Labyrinth” vor allem ein persönlicher Gewinn. Diese Haltung macht sie am Ende zu echten Siegern, zu den Siegern der Herzen.