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CD-DETAILS CENTRAL MARKET [BRAXTON, TYONDAI]

Braxton, Tyondai

Central Market [Rock / Alternative]


RELEASE: 11.09.2009


LABEL: Warp Records

VERTRIEB: Rough Trade

WEBSITE: www.facebook.com/tyondaibraxton

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Seit mehr als einer Dekade arbeitet Tyondai Braxton, Sohn des legendären Jazz Musikers und Philosophen Anthony Braxton, bereits am Feintuning seines einzigartigen Ansatzes als Künstler.

Solo-Künstler wohlgemerkt – und zwar im wortwörtlichsten Sinn. Denn sowohl auf der Bühne als auch im Studio zeichnet er sich gleichzeitig verantwortlich für Stimme, Gitarre, Loop- und Delay-Pedals, sowie eine Vielzahl anderer Dinge, mit denen er Stücke kreiert, die den Sound eines großen Ensembles durch die Ästhetik der DJ-Kultur filtern. Seine faszinierenden Live-Shows versetzen einen sowohl technisch in Staunen als auch akustisch in Hypnose.

So war es zumindest bisher, denn auf seinem zweiten Soloalbum schlägt Braxton nun eine neue Richtung ein, mit der er sich erstmals von den orchestrierten Loops verabschiedet, die mittlerweile zu seinem Markenzeichen geworden sind: Denn zum ersten Mal in seiner Solokarriere hat er für ein richtiges Orchester komponiert. Das Resultat ist ein beschwingter Mix aus akustischer und elektronischer Instrumentierung. Überraschend pastorale Momente geben den Weg frei für stimmungsvoll-erhabene Klangpassagen, die auch bei Fans vom Avant-Rock-Quartett Battles Anklang finden dürften – nicht umsonst ist Braxton dort langjähriges Mitglied.

Es gibt viele ominös-verstörende Sounds, vor allem am Ende des Albums, doch allein die Ambitionen und der Ehrgeiz hinter „Central Market“ verleihen der Platte trotz allem eine Form von Qualität, die vor allem durch Freude zur Musik und Liebe zur Sache gekennzeichnet ist. Die Idee hinter dem Einfallsreichtum des Spiels und der Arrangements haben das gesamte Experiment spannend und spaßig zugleich gemacht – Worte, die Braxton oft benutzt, wenn er vom Prozess der Umsetzung von „Central Market“ spricht.

Ausschlaggebend für das Funktionieren des Projekts war Braxtons Auswahl an fulminanten Mitstreitern: Das Wordless Music Orchestra, ein junges New York City-Ensemble unter der Leitung von Caleb Burhans, bisher vor allem bekannt für ihre beeindruckende Leistung bei der Premiere von „Popcorn Superhet Receiver“, einem symphonischen Werk der BBC Artist Residency, komponiert vom Radiohead Gitarristen Jonny Greenwood. Die Kombination des Orchesters aus Wissen, Können und Eifer sowie dem Mut zu experimentieren spiegelt die eigene Empfindsamkeit Braxtons wieder, die er sich trotz seiner Jahre am Konservatorium stets bewahrt hat. „Wordless tragen diese Furchtlosigkeit in sich, die man bei eher traditionell ausgerichteten Gruppen heute kaum mehr findet“, so Braxton.

„Selbstverständlich könnten die Jungs das klassische Spiel jederzeit mitspielen, aber stellen stattdessen lieber ihre großartige Energie, ihre Hartnäckigkeit und Durchgeknalltheit in den Vordergrund.“ Braxton lacht und fügt hinzu: „Aber keine Bange, es ist alles unter Kontrolle. Es sind nun mal alles Top-Leute. Ich bin wirklich froh, mit so einer Gruppe arbeiten zu dürfen. Es war eine großartige Erfahrung, mit ihnen innerhalb kürzester Zeit einige wirklich schwere Stücke auszuprobieren und sie daraufhin vom Fleck weg mit ins Boot zu holen.“

Das Grundgerüst von „Central Market“ stammt dennoch allein von Braxton und seinen Pedals, Loops, elektronischem Keyboard, Gitarre und Stimme: „Zuerst habe ich, wie immer, alles alleine komponiert und Loops übereinandergelegt. Da gibt es auch keine Noten oder dergleichen. Erst, wenn sich die Stücke in eine Richtung entwickelt haben, die mir 100%-ig gefällt, verbinde ich die Teile endgültig miteinander und schreibe alles auf. Am Hauptstück „Platinum Rows“ habe ich zum Beispiel schon recht lange gearbeitet. Das besteht aus vielen kleinen Einzelteilen, die ich baukastenmäßig zusammengefügt habe.“

Mit seinem Feinschliff hat Braxtons auch noch weitergemacht, als er sich mit Wordless bereits im Studio befand: „Ich habe die Songs mit dem Musikprogramm Sibelius eingespielt. Und während die Jungs aufgenommen haben, habe ich noch viele Sachen umgeschrieben und ihnen permanent neue Vorschläge gemacht. Das ist so eine schicksalhafte Art Musik zu machen, weil man nie genau weiß, wie das Ganze am Ende klingen wird – vor allem nicht im Zusammenhang mit dem Orchester. Und im Studio hat man eben auch nicht sonderlich viel Zeit für Korrekturen. Man schreibt diese Musik für hunderte von Leuten, aber hat sie vorher selbst noch nie gehört. Man hofft einfach nur, dass es in etwa den eigenen Vorstellungen entspricht. Das hat auch viel mit Glück zu tun.“

Ein Teil von Battles zu sein hat dem ursprünglich recht einzelgängerischen Braxton definitiv geholfen, den Kreativprozess im Kollektiv wertzuschätzen, wie er selbst zugibt: „Egal wie sehr du versuchst eine Band zu simulieren, was ich all die Jahre getan habe – es wird nie an ein echtes Bandgefüge heranreichen. Und das geht weit über die bloße Musik oder das gemeinsame Durchkauen musikalischer Ideen mit Gleichgesinnten hinaus. Es ist vor allem die soziale Komponente, um die es mir geht. Der Umstand, dazu gezwungen zu sein, musikalisch mit anderen Leuten zu interagieren. Doch als ich dann die Möglichkeit hatte, mit dem Orchester zusammenzuarbeiten, wusste ich einfach, wie ich es angehen muss. Vor Battles war ich vollkommen in meiner eigenen Welt unterwegs und habe mit niemandem zusammengearbeitet. Ich habe mich regelrecht dagegen gesträubt. Doch das Arbeiten mit der Band hat mir auch die Kollaboration mit dem Orchester ungemein erleichtert.“

Unsicher war sich Braxton vor allem darüber, ob seine Soloaufnahmen tatsächlich mit dem Orchester harmonieren würden, wie er erklärt: „Ich war mir ziemlich im Klaren darüber, dass ich einen Mix mit elektronischen und akustischen Instrumenten haben wollte. Ich hatte das Gefühl, dass das in der Vergangenheit zu oft falsch angegangen wurde. Damit möchte ich nicht sagen, dass es diesmal so viel richtiger wäre – aber ich wusste haargenau, wie ich die verschiedenen Elemente ineinander fügen wollte. Zum Beispiel der melancholische, schwerfällige Beat auf dem letzten Stück „Dead Strings“, das ist eine Beatbox. Eine echte Stimme, die ich einfach durch die PA gejagt habe. Deshalb klingt es nicht wie eine glasklare Aufnahme inmitten des wuchtigen Orchester-Sounds. Denn wichtig war mir vor allem eins: Es sollte echt klingen. Deshalb habe ich all die elektronischen Spielereien genommen, durch die PA gefiltert und live aufgenommen, damit sie zwischen all den Akustik-Instrumenten nicht wie Fremdkörper klingen. Das mochte ich zum Beispiel auch an den Swans [Michael Giras bahnbrechende Proto-Industrial-Combo] und den frühen 80er-Jahre-Aufnahmen der ganzen New Wave-Bands. Das hat immer gepasst. Dieses Zusammenspiel zwischen Akustik und Elektronik klang nie gekünstelt.“

Und Braxton ergänzt: „Wenn du von Anfang an mit den teuersten Gerätschaften arbeitest und damit bereits alles vorproduzierst, klingt es viel zu perfekt. Da fehlt das Herz. Da fehlt die kreative Reise. Und deshalb wollte ich auch nicht meine komplette Arbeit auf eigene Faust über Bord werfen, sondern sie in den Kreativprozess mit dem Orchester integrieren. Ich habe so hart daran gearbeitet, Sounds zu finden, die mir wirklich gefallen. Und diese Errungenschaft wollte ich zum Teil eines noch größeren Bildes werden lassen.“

Schlüssel für Braxtons Inspirationen war Igor Stravinskys „Der Gesang der Nachtigall“ von 1917, ein symphonisches Werk aus seiner Oper „Die Nachtigall“. Braxton erklärt: „Das war das Stück, bei dem ich schlussendlich gesagt habe: ‚Ok, ich muss orchestrale Songs machen.’ Ich habe den Anfang vom „Gesang der Nachtigall“ genommen und als eine Art Einleitung für ‚Platinum Rows’ benutzt. Ich wollte mich auf meine ganz persönliche Weise an Stravinsky und einige andere Komponisten annähern, ohne sie dabei bloß zu kopieren. Aber ich liebe einfach Stravinskys Musik. Er war definitiv mein Vorbild für dieses Projekt.“

Auch der Album-Titel stammt indirekt von ihm: „Ich habe über die Messe am Anfang von ‚Petruschka’ [Stravinskys Ballet, das in St. Petersburg spielt] nachgedacht. Ein ganz skurriles, magisches Setting voller Fantasie. Aber bezogen auf ‚Central Market’ sehe ich auch Parallelen hinsichtlich der aktuellen Wirtschaftskrise, insofern ist es auch wieder vollkommen real. Zuerst ist die Musik sehr animierend und optimistisch, aber zum Ende hin wird es irgendwie zynisch und fühlt sich trotz der Lebendigkeit irgendwie trostlos an. Es entwickelt sich von hell zu düster, und das entspricht auch der Art und Weise, wie sich die Dinge aus wirtschaftlicher Sicht in den letzten Monaten entwickelt haben.“

„Central Market“ beinhaltet auch die Entwicklung Braxtons zu dem Mann und Künstler, der er heute ist. Von seinen Anfängen als Student an der Hartfort School Of Music in Connecticut mit einem gesunden Sinn für kreatives Rebellentum hin zu seinem momentanen Status als großer Komponist, Solokünstler und Bandmitglied bei Battles. Nach der Arbeit am ersten Battle-Album „Mirrored“ erklärte Braxton noch: „Ich habe gerade erst damit angefangen, orchestrale und symphonische Musik auszuarbeiten. Natürlich habe ich dabei auch auf mein bisheriges Leben zurückgeblickt, und auf eine eigenwillige Art war das eine Offenbarung für mich. Plötzlich hat alles Sinn gemacht. Ich habe gemerkt, dass das ein Bereich ist, auf den ich mich zukünftig noch mehr konzentrieren möchte, aber ich musste erst meinen eigenen Zugang zu dieser Musik finden.“ Heute fügt er hinzu: „Daher musste ich mir über die Jahre auch viele Dinge abgewöhnen. Und auf ‚Central Market’ mache ich nun endlich Frieden mit meiner Vergangenheit. Ich kann mich nicht mehr länger verstecken. Ich liebe die Musik und diese Art zu arbeiten wirklich. Und ‚Central Market’ war daher für mich der einzig logische Schritt nach vorne."

(Quelle: Sven-Erik Stephan, Beatsinternational, 2009)


FORMAT: CD


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