Mastodon über ihre neue CD: Biographische Einblicke von der Entstehung zur Vollendung in eigenen Worten
Das Album unseres Lebens
Bill Kelliher (guitars): Dies ist genau das Album, das wir immer schon machen wollten. Und schließlich haben wir es geschafft. Ich bin gerade vom Zahnarzt gekommen und hab es mir auf meinem iPod angehört, und mir fielen viele Sachen auf, die ich vorher gar nicht bemerkt hatte. Sehr cool. Großartig. Ich dachte "Wow! Das sind wirklich wir!". Irgendwie schwer zu glauben. Wir sind seit unserer ersten EP einen langen Weg gegangen, und so ergriff mich tiefe Befriedigung. Ich war tatsächlich ergriffen. Ich bin verdammt stolz auf jeden von uns und den Job, den wir hier gemacht haben.
Brann Dailor (drums, vocals, percussion): Wenn ich das Album höre, fühle ich mich, als würde ich gerade aus einem heftigen Film kommen. Nach den ersten Malen, die ich das Album gehört hatte, konnte ich über eine halbe Stunde gar nichts sagen. Ich brauchte ne ganze Zeit, bis ich wieder runtergekommen war.
Brent Hinds (lead guitar, vocals, banjo): Das ist beinahe, als würde es dir einen musikalischen Hangover verpassen. Da passiert eine Menge Musik. Ich bin schwer beeindruckt, auch wenn wir es selbst gemacht haben. Ich hörte mir das Album an und dachte: "Ich bin stolz auf diese Jungs!" Ich liebe diese Typen und ich bin stolz auf das Album.
Troy Sanders (bass, vocals, bass synth): Ich hoffe, das Album spiegelt die emotionale Reise wider, die wir in diese Schöpfung gesteckt haben. Wir haben mit dem ganzen Spektrum unserer Emotionen gekämpft, und ich hoffe, der Hörer bemerkt, was wir da reingesteckt haben. Es sind nicht nur sieben Songs, sondern eine Berg- und Tal-Fahrt. Wir haben wirklich tief in den Abgründen den Inspiration gegraben, sowohl in den dunklen, aber auch lichten Bereichen unserer Seelen, und das mit dem ganzen Erstaunen über und der Bewunderung für das gesamte Universum.
Das sind zwei ganz unterschiedliche Dinge: Einerseits in einen kleinen Bereich deiner Seele zu tauchen und dann von den Wundern des Universums elektrisiert zu sein. Äußerlich passt das gar nicht zusammen, aber von den Tiefen unserer Seele bis zu den äußersten Grenzen unserer Vorstellung haben wir unseren Versuch fortgeführt, ein Album zu machen, das mit unserer Reise Schritt halten kann und die nächste natürliche und rücksichtslos aufrichtige Stufe der Evolution MASTODONs nimmt.
Bill: Von den 70ern bis zu den 90ern hast du eine Platte wie ...And Justice For All, Kill ‚ Kill ‘Em All oder Reign In Blood aufgelegt und zugehört, bis sie durchgelaufen war. Dann drehtest du sie um und fingst von vorn an. Wir sind in der Beziehung eher old-school und versuchen, dieses Erlebnis zurückzubringen. Weg vom Shuffle , und stattdessen ein Album als Ganzes zu nehmen, damit das gesamte Bild sichtbar wird. Das haben wir immer probiert, und mit diesem haben wir es geschafft.
Diesmal geht es uns persönlich an
Brann: Es gibt ein paar Momente aus einer bestimmten Zeit in meinem Leben, die ich direkt eingebracht habe . Etwas, was ich vorher nie getan habe. Die Musik erforderte es. Brent komponierte fast die ganze Musik des Albums, und Brent, Troy und ich schrieben fast alle Texte zusammen. Brent grub sehr tief mit der Musik, und es gab einige Dinge in meiner Vergangenheit, die ich in Texten vorher nie angerührt hatte. Dies war die perfekte Gelegenheit.
Bill: Nach den MTV Video Music Awards erlitt Brent eine schwere Verletzung.
Troy: Wir bekamen diesen Anruf, dass einer unserer Brüder eine schwere Hirnverletzung hatte. Es hätte zum Tode oder zu bleibenden Schäden seiner Motorik führen können. Für einen Moment waren wir total geschockt, aber vor allem wollten wir, dass Brent sich wieder erholt. Keiner von uns hat die Band und unseren Werdegang als Selbstverständlichkeit hingenommen. Wir wissen alle, dass dir an einem Tag alles genommen werden kann, ganz egal, was es ist. Und das wäre hier vernichtend gewesen. Wir alle hatten den Gedanken, dass dies unser letzter Tag als MASTODON hätte sein können. Die vorangegangene Nacht hätte unser letzter Gig sein können.
Brann: Die Sache mit Brent brachte uns näher zusammen. Wir mussten vorausblicken. Brent lag im Krankenhaus, vollkommen fucked up, aber wir mussten einfach in den Übungsraum gehen. Völlig egal, ob wir irgendwas Neues schreiben, aber wir mussten dahin gehen und als Band zusammen sein. Und wenn Brent zurückkäme, dann käme er zurück.
Troy: Ich war tief getroffen, wie jeder in der Band. Es gibt Momente wie diese in deinem persönlichen Leben, oder in deinem Bandleben oder Jobleben, in denen man einen Schritt zurück machen muss und alle Gedanken und Wünsche ganz neu definieren muss. Die Situation veränderte alle Prozesse unseres Denkens und jede Emotion auf dem Album. Wir wurden gezwungen, uns Momente zu nehmen, in denen wir zurücktraten, um uns ernsthaft einige Dinge klar zu machen.
Brent: Ich war so froh, noch am Leben zu sein, als das alles vorbei war. So froh, dass meine Motorik wiederkam und ohne Nachwirkungen funktionierte. Ich war für ein paar Monate völlig ruhig gestellt, und als ich wieder Gitarre spielen konnte, war ich wirklich heiß darauf. Es war ein einziger kreativer Ausbruch. Weiß nicht, ob das vom Unfall her kam oder nicht. Aber als ich feststellte, dass ich soweit okay war, war ich wirklich scharf darauf, zu spielen. Inzwischen bin ich schon wieder müde, und irgendjemand kann ruhig kommen und mich wieder ausknocken.
Bill: Es gibt eine Textzeile im Song Oblivion, die lautet: "Fall from grace, because I’ve been away so long.” Ich denke, dass Brent da über seine Verletzung singt, oder über die Zeit, als er für Monate draußen war. Das Album hat eine sehr persönliche Seite, aber es springt auch etwas hin und her. Es ist kein Album, auf dem es nur um eine einzige Sache geht. Es gibt auch Texte über Schwarze Löcher und Geheimgesellschaften und Wurmlöcher und einen Magneten der Weisheit. Ich weiß gar nicht genau, was das alles bedeutet. Aber es schafft ein Bild in deinem Kopf. Ein Magnet der Weisheit? Was soll das sein? Ein Riesenhirn im Weltall, das Dinge anzieht? Ich liebe das. Das ist anders als alle anderen Bands oder Texte, die ich je gesehen habe. Das ist cool.
Konzepte
Brent: Wir dachten über das nächste Element nach . Mit dem Album Leviathan haben wir das Wasser thematisiert, mit Blood Mountain die Erde. Was jetzt? Skye hieß Branns Schwester, die schon als Kind starb. Er hat ihren Namen auf seinen Nacken tätowieren lassen. Blood Mountain war für uns auch eine Metapher für unseren Deal mit Warner Bros., das Erklimmen eines Berges. Jetzt haben wir die harte Aufgabe, sie zu beeindrucken und zu beweisen, dass wir jeden Cent wert sind, den sie in uns hinein gesteckt haben. In Leviathan haben wir den Weißen Wal gejagt, das war ein ganz einfaches Bild: Wir steigen in unseren weißen Van und verlassen die Familie, die Freunde und den Job wie die Walfänger in Melvilles Roman. CRACK THE SKYE könnte auch bedeuten, dass wir mit dem Album durch die Decke gehen. Aufsteigen und ein Loch in den Himmel brechen.
Bill: Es sind Songs, die eine Geschichte aus der Perspektive eines einzelnen Mannes erzählen. Ich weiß nicht, ob "doppeldeutig" der richtige Ausdruck wäre, aber es gibt ganz bewusst doppelte Bedeutungen in den Songs. Es geht eher um das, was man selbst als Bedeutung empfindet, also kann sich jeder seine eigene Meinung bilden. Es berührt Rasputin und den Zar und den Mordanschlag auf ihn – aber es erzählt auch, wie jemand aus seinem Köper tritt und eine astrale Reise beginnt.
Brann: Die Story beschreibt eine multidimensionale Reise, die in der Gegenwart beginnt. Der Protagonist verlässt seinen verkrüppelten Körper, und reist mit seinem Astralleib in den Weltraum, kommt aber zu dicht an eine Sonne. Er wird in ein Wurmloch gezogen und in die Sphäre der Geister geschleudert. Er muss sie überzeugen, dass er keiner von ihnen ist und wird in eine russisch-orthodoxe Sekte namens Khlysty im frühen 20. Jahrhundert eingeschleust. Mitten in Rasputins Körper kurz vor dem Mordanschlag. Dann wieder raus aus dem Körper, durch einen Riss im Himmel und in das Reich des Teufels. Aber er wird nicht in die Hölle gezogen, sondern kehrt zurück in die Gegenwart.
Zur Produktion
Bill: Dies war der Zeitpunkt, mit einem echten Profi, Brendan O’Brien, zu arbeiten. Wir hatten die Möglichkeit, wesentlich mehr zu machen als auf den vorhergehenden Alben. Es gibt ein deutlicheres Konzept und ist ein vielschichtigeres Album. Uns ging es immer um das ganze Album als eine große Einheit. Wir hatten 15 Songs, unter denen wir auswählen konnten, und die sieben, die es dann wurden, klangen so, als kämen sie alle aus derselben Richtung.
Troy: Wir spürten die Hand des Schicksals. Wir trafen uns mit Brendan hier in Atlanta auf einen Kaffee und er fragte uns: "Es gibt eine Menge Sachen in den Demos, die ich ziemlich gut finde. Wie stellt ihr euch das neue Album vor?" Wir sagten, wir hätten Classic Rock als Vorstellung, denn in den Songs gibt es viele Anklänge daran. Brendan kommt aus der Ecke Bruce Springsteen, Pearl Jam, Bob Dylan – er ist ein Rock’n’Roll-Produzent. Er lebt und arbeitet hier in Atlanta, und wir wollten unbedingt zuhause bleiben. Brendan meinte: "Naja, ich habe gerade zugesagt, AC/DC zu machen, und wenn ich damit fertig bin, können wir anfangen." Und wir antworteten: "Dude, das ist perfekt." Und wir wussten, dass wir damit die nächsten großen Schritte taten und obendrein den Coolness-Faktor steigerten.
Er brachte eine extrem authentische Repräsentation von dem ein, wie MASTODON live klingen. Nicht so viele Glocken und Pfeifen, nicht soviel Kompression. Raue, aber groß angelegte Sounds, die MASTODON so zeigen, wie sie sind. Es war auch sehr gut, unseren Keyboarder einzuladen. Brann hielt alles eher sparsam, so dass wir hier ein paar Akkorde zufügen konnten, da ein Piano, ein kleines Banjo-Intro und so weiter. Aber insgesamt ist es aufs Nötigste reduziert, rau und fett.
Brann: Scott Kelly von Neurosis singt auf dem Titeltrack. Er ist ein wirklich enger Freund und es war uns sehr wichtig, ihn auf dem Album zu haben. Wir hörten seine Vocals im Geiste schon über dem Riff. Ihm sind Tragödien nicht fremd, und er wusste genau, was er zu tun hatte.
Progressive Programme
Bill: Ich war immer ein großer Fan von Led Zeppelin, den Beatles, Pink Floyd und King Crimson. Sie hatten 15-20-minütige Songs, und dir fiel nicht mal auf, wie lang sie waren. Das war wie eine einzige große Bewegung. Da passierte etwas sehr Wirkliches vor meinen Augen, wenn ich eine solche Band sah. Wir kommen alle aus diesem Background. Ich weiß, wir sind erst in unseren Dreißigern, aber trotzdem können wir uns damit identifizieren. Die Kids brauchen das heute. Und sie brauchen eine gute Dosis, keine Kopie der Siebziger, sondern neue Varianten. Progressiver als progressiv auf den Wurzeln MASTODONs, immer noch sehr heavy, sodass die Fans mit uns wachsen. Es gibt keine Formel dafür. Wir können alles spielen, solange es unseren Gefühlen entspricht.
Auf diesem Album gibt es mehr Gesang und mehr Mehrstimmigkeit, dafür weniger Schreien. Wir feilen an unseren musikalischen Fähigkeiten. Mehr Hardrock als Southern Metal. Manche Bands können für immer in dem Genre bleiben, mit dem sie groß geworden sind, aber wir mussten diesmal einen Schritt weitergehen. Wir haben ein Album gemacht, besser als das Album davor, und das soll bis zum Ende unseres Lebens auch so weitergehen.
Brann: Es ist, als wären wir eine neue Band – als hätten wir eine Wand niedergerissen. Und das ist sehr gut so. Wir alle haben unser ganzes Leben lang Musik gemacht, und in den letzten neun Jahren zusammen. Da fragt man sich, wann das ausfransen wird. Aber dass an diesem Punkt nun genau dieser Schwenk kam, und dass alles so frisch wirkt, hat uns alle revitalisiert. Es verleiht dem ganzen Projekt einen neuen Schwung und ich habe das Gefühl, wir haben uns beinahe neu erfunden. So schwierig es für mich auch ist, das Album anzuhören, lässt es mich denken: "Wow! Jetzt sind wir auf diesem Trip, und die nächsten Alben werden genau diesen Stil weiterentwickeln”.